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Alt 23.04.2003, 02:26  #1
HansA
ProsTaTikeR
 
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Befreiung – Revolution – Transformation

Bagdad ist befreit. Befreit von seinem ehemaligen Diktator Saddam Hussein und seinen Schergen. Nun stellt sich die Frage, was soll, was wird diese neu erworbene Freiheit bringen? Einstweilen zeigte das Fernsehen Bilder jubelnder Iraker, die ihre amerikanischen Befreier begrüßen und selbst Hand an eine monumentale Steinstatue des gefallenen Führers legen, bis auch diese schließlich fällt. Die Bilder zeigten nicht zuletzt, was man auf Seiten der Alliierten sehen wollte, ein Volk, das sich, zum Leviathan geeint, nun endlich gegen den Tyrannen erhob.
Rasch jedoch wurden diese Bilder von Berichten über Plünderungen und Unruhen überschattet. Das Recht des Stärkeren scheint sich dieser Tage wieder in den irakischen Städten durchzusetzen. Was also wird nun aus dem Irak? Gelingt es, eine einigermaßen stabile, nach Möglichkeit demokratische Regierung zu installieren oder wird das Land zwischen den einzelnen regionalen Kräften zerrissen, so dass – ähnlich wie in Afghanistan – nur die Lage in den zentralen Städten stabilisiert werden kann?
Herrschaft ist nach Max Weber, "die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden”, unabhängig davon, auf welcher Basis diese Chance beruht. Die Stabilität von Herrschaft hängt in der Folge überwiegend von der Funktionsfähigkeit dieser Befehls-Gehorsams-Hierarchie ab und die Herrschaft wird brüchig, sobald ihr die Gefolgschaft verweigert wird.
Bereits in der Antike waren Kreislaufmodelle politischer Ordnungen bekannt. Eines der meist genannten stammt von Aristoteles und typologisiert Regierungssysteme nach der Anzahl der Herrschenden und ihrer Qualität: die Monarchie als die gute Herrschaft eines Einzelnen und die Tyrannis als ihr Gegenstück, die Aristokratie als die gute Herrschaft der wenigen mit der Oligarchie als Verfallsform und schließlich die Politie als die gute Herrschaft der vielen und die Demokratie als Tyrannei der Mehrheit.
Das bisherige politische System des Irak konnte als Tyrannis, aber auch als stabil bezeichnet werden. Es hatte seine Machtbefugnisse unrechtmäßig erworben und verteidigte diese auf eine Weise, dass zunehmend der Vergleich mit bekannten totalitären Systemen gezogen wurde. Und tatsächlich erfüllte das Regime Husseins die meisten der sechs Merkmale, die Carl J. Friedrich und Zbigniew Brzezinski in ihrer Totalitarismustypologie anführen: die durch Staatsterror gestützte Einparteienherrschaft der Baath-Partei, Verstaatlichung der Schlüsselindustrie und natürlich das Propagandamonopol, das in den letzten Tagen von einem nicht besonders vom Glück begünstigten Propagandaminister bekleidet wurde. Auch das Waffenmonopol lag beim Staat, doch dies scheint nicht besonders erwähnenswert, da dies auch in den meisten Demokratien der Fall ist. Allein ideologisch hatte das Regime wenig zu bieten, denn der Irak unter Hussein, war kein fundamentalistischer islamischer Staat, sondern der Staat der eher säkularen Baathpartei.
Nun scheint das Land zur Demokratie im aristotelischen Sinne zu werden, zur Pöbelherrschaft der jeweiligen Mehrheit, ein Leviathan mit unkoordinierten Gliedern.
Zeitsprung: Im Jahr 1989 skandierten unzählige "Montagsdemonstranten” die Worte "Wir sind das Volk” und brachten in einer friedlichen Revolution die Diktatur des Proletariats zu Fall. Das gemeinsame Ziel konnte sich zwar nicht auf demokratische Tradition stützen, es verband jedoch die Demonstranten in ihrer Gesamtheit. Die breit unterstützte Forderung nach Freiheit und Demokratie mündete letztlich in der deutschen Wiedervereinigung. Anders zeigte sich das Bild nach dem Niedergang des Sowjetkommunismus etwa im tschetschenischen Kampf um die Unabhängigkeit. Anders zeigte sich auch die Lage im ehemaligen Jugoslawien, das sich nach dem Ende der erzwungenen Herrschaft selbst zerfleischte. Homo homini lupus?
Die genannten Beispiele sind weniger ein Beleg für das Hobbes'sche Paradigma, als vielmehr ein Hinweis darauf, dass politische Transformationsprozesse mit gesellschaftlichen einhergehen müssen, wenn Stabilität und Sicherheit gewährleistet bleiben sollen.
Wenn nun also mit Platon das Ziel der Politik als die Herstellung der Guten Ordnung definiert wird und wenn Krieg, so problematisch diese Einschätzung auch sein mag, als Fortsetzung der Politik begriffen wird, dann ist es eben nicht damit getan, die Tyrannen zu töten oder zu vertreiben. Neuordnung, zumal demokratische, benötigt nachhaltige Strukturen, auf die sie sich stützen kann. Strukturen, denen eine Entwicklung vorangehen muss. Wenn also der ehemalige Präsidentenberater Brzezinski gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in einem Interview vom 11. November 2001 äußert, die Vereinigten Staaten sollten sich nicht "in eine jahrelange Mission [zur politischen Stabilisierung Afghanistans] verwickeln lassen”, so stimmt dies nachdenklich: Denn damit wird das Bild eines globalen Souveräns gezeichnet, der – einmal ermächtigt – als Absolutus agiert nach eigenem Interesse und unabhängig vom Votum der internationalen Staatengemeinschaft.
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Es ist verdammt schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser HansA die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)
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