Alt 07.11.08, 19:36
So tickt die Börse: Dachfonds ziehen Gelder ab
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Herzlichen Glückwunsch, Barak Obama. Sie haben mit schönen Worten die Herzen der Menschen bereits gewonnen: Sowohl in den USA, als auch in den meisten anderen Ländern der Welt. Nun werden Taten folgen, die nicht mehr so einhellig gut geheißen werden. Doch Sie haben traumhafte Mehrheiten in Washington und einen guten Rückhalt in der Bevölkerung, so dass Sie sogar unpopuläre Schritte vornehmen können.

Die Hoffnung ist groß, denn Obama übernimmt einen Scherbenhaufen von Präsident Bush und kann eigentlich nur gewinnen: Kriege im Irak sowie Afghanistan, die eigentlich nicht gewonnen werden können und zu einem zweiten Vietnam auszuwachsen drohen, ein kollabiertes Finanzsystem mit dem US-Finanzministerium nach der Übernahme von AIG, Fannie Mae und Freddie Mac, etc. als der größten Bank der Welt, eine Wirtschaft, die in eine Rezession abgleitet, ein Sozialsystem in den USA, das dem einiger Entwicklungsländer hinterher hinkt, eine weltweite Reputation, die schlechter kaum mehr werden kann.

Folglich hat Obama den richtigen Schlachtruf gewählt: „Change" – Wechsel, Veränderung! Und es muss sich vieles in den USA ändern, damit das Land zu alter Blüte zurückkehren kann. Die freie Marktwirtschaft hat in den vergangenen Jahren ihre Grenzen ausgetestet und überschritten und Obama wird eine Regierungsmannschaft zusammenstellen müssen, die neue Rahmenbedingungen definieren muss.

In den letzten Tagen vor den Wahlen stiegen die Kurse an den Börsen an. Egal, ob Obama seinen Vorsprung ausbaute, oder McCain zu einem Endspurt ausholte, die Euphorie für die bevorstehende Ablösung Präsident Bushs trieb die Kurse an und die Hoffnungen beider Lager überwogen die Ängste vor einer Wahlniederlage. Nun ist die Wahl entschieden und seither fallen die Börsen zurück. Alles politische Einflüsse?

Nein, das glaube ich nicht. Ich werde gleich auf die markttechnischen Einflüsse eingehen, die zu dem Ende der Rallye führten und aufgrund derer ich am vergangenen Freitag dazu aufrief, spekulative Gewinne mitzunehmen. Doch blicken wir zunächst auf die Wochenperformance der wichtigsten Indizes:


INDIZES (06/11/2008)

Dow Jones: 8,696 | -5.3%
DAX: 4,814 | -1.1%
Nikkei: 8,899 | -1.4%
Euro/US-Dollar: 1.280 | -2.2%
Euro/Yen: 124.62 | -0.8%
10-Jahre-US-Anleihe: 3.71% | -0.2
Umlaufrendite Dt: 3.61% | -0.1
Feinunze Gold USD: $742.40 | 1.3%
Fass Crude Öl USD: $61.47 | -7.6%


Am stärksten ist der Dow Jones eingebrochen. Grund: Liquidationen von Hedgefonds. Aber auch DAX und Nikkei gaben überwiegend ab und das trotz heftiger Zinssenkungen allerorten. Die Bank of England senkte ihren Leitzins gleich um 1,5% in einem Schritt. Da wird stets nur diskutiert, ob 0,25 oder gleich 0,5% Schritte unternommen werden, da preschen die Engländer mit einer absoluten Mega-Zinssenkungen vorweg. Die Schweiz, Japan als auch die europäische EZB haben dagegen verhältnismäßig moderat um 0,5% die Leitzinsen gesenkt (Japan 0,3%).

Das reicht den Anlegern nicht, sie wollen deutlichere Zeichen der Notenbanken sehen, um die drohende Rezession abzuwenden. Doch diese Erwartung kommt aus dem Angelsächsischen, also England und den USA, wo die Notenbank schon mal die Konjunktur stützt, indem mehr Geld gedruckt wird. Wir sehen dies eben in diesen Tagen in England und in den USA. Die EZB hat aber nicht zur Aufgabe, die Geldmenge, und damit den Geldwert, zur Beeinflussung der Konjunktur zu nutzen, sondern soll lediglich die mathematisch berechenbare Geldmenge steuern und damit für eine Geldwertstabilität sorgen. Dem Vorwurf, dass die EZB also vermutlich den Ernst der konjunkturellen Lage verkenne, begegnet Trichet stets mit einem Lächeln: Das sei auch nicht seine Aufgabe.

Während also Hoffnung durch den neuen US-Präsidenten die Börsen stützt, wird die konjunkturelle Situation immer schlimmer und wir können im weiteren Verlauf der „heftig eingebrochenen Wirtschaftaktivität" (Zitat Trichet) mit weiteren Zinssenkungen der EZB rechnen. Vielleicht später als erhofft, aber stets entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung.


SENTIMENTDATEN

ANALYSTEN:

Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
September (781): 60% / 40%
Oktober (541): 57% / 43 %

Häufigste Kaufempfehlung
* Fresenius Medical Care
* ENI S.P.A.

Häufigste Verkaufsempfehlung
* Beiersdorf AG
* MLP AG

MITGLIEDER:

Häufigste Kaufempfehlung
* Porsche
* Premiere

Häufigste Verkaufsempfehlung
* Volkswagen
* BMW

Bullen / Bären Index

Aktuell 57% Bullen (+11%)
Tief war Anfang Oktober, bei 41% Bullen


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel.

LIQUIDATIONEN DURCH MITTELABFLUSS BEI DACHFONDS

Ach, die Märkte sind inzwischen so komplex, dass man immer eine ganze Reihe von Begründungen finden kann. Ich muss jedoch stets schauen, dass ich die jeweils plausibelsten und vermutlich maßgeblichen Gründe für Sie finde. Und entsprechend der von mir stets favorisierten Erklärungen durch die großen Kapitalströme gibt es auch für die Vorgänge dieser Woche eine entsprechende Erklärung:

Hedgefonds haben immer nur einige Tage im Jahr, in denen ihre Kunden Anlagesummen abziehen dürfen. Da Hedgefonds komplizierte und durch die Finanzmathematik ausgedachte Strategien umsetzen, die nicht umsetzbar wären, wenn die Anlagesumme täglich stark schwanken würde, hat man sich darauf geeinigt, ein paar wenige Termine pro Jahr für Ein- und Auszahlungen vorzusehen. Einer der Termine ist gerade diese Woche fällig. Zum Ende Oktober erstellen Fonds, Hedgefonds, Dachfonds, etc. ihre Rechenschaftsberichte. Darin ist genau die Performance der vergangenen Monate nachzulesen.

Nach dem Versand der Berichte haben die Anleger nur ein paar Tage Zeit, ihre Auszahlungswünsche einzureichen.

Nun sind Hedgefonds in den vergangenen Monaten reihenweise Pleite gegangen. Es gibt meist eine definierte Verlustgrenze: Wenn beispielsweise 30% Verlust eingefahren wurden, wird der Rest liquidiert und an die Kunden ausbezahlt.

Grundsätzlich sind Hedgefonds dazu gedacht gewesen, eine Versicherung für Millionäre mit großen Aktienpaketen darzustellen. Wer also große Vermögen in Aktien angelegt hat und damit über Jahrzehnte gut Geld verdient, der leistet sich irgendwann einmal diese Hedgefondsversicherung, um gegen plötzliche Marktkorrekturen wie in den vergangenen Monaten abgesichert zu sein. Hedgefonds müssen also gemäß ihrer Bestimmung überwiegend short ausgerichtet sein, also auf fallende Kurse setzen. Lange Phasen steigender Kurse führen zu Verlusten bei Hedgefonds, das wird jedoch von den Millionären als Versicherungsprämie in Kauf genommen.

Doch es gab schon einmal eine solche Marktkorrektur von 2000 bis 2003. Damals haben sich Hedgefonds dumm und dusselig verdient. Sie dürfen diesen Ausdruck wörtlich nehmen: Hedgefonds haben so gut verdient, das jeder dumme und dusselige Mensch einen Hedgefonds aufmachte. Schlimmer noch: Auch dumme und dusselige Kunden überwiesen ihre sauer verdienten Kröten an Hedgefonds, in der Hoffnung, dort mehr zu verdienen, als am Aktienmarkt.

Hedgefonds verließen also ihre traditionelle Rolle als Versicherung und spekulierten fortan sowohl auf fallende, als auch auf steigende Kurse. Da sie aus den Zeiten der Versicherungsfunktion Zugriff auf kurssichernde Instrumente wie Optionen haben, konnten sie nunmehr auch die Hausse über Optionen zur Gewinnhebelung nutzen ... bis die Hausse auslief und die Kurse drehten. Da gingen dann sofort die aggressivsten Hedgefonds Pleite.

Doch das ist alles Vergangenheit. Heute sehen wir das nächste Kapitel dieser unsäglichen Geschichte: Dachfonds als verlängerter Arm der Anleger entziehen den noch übrig gebliebenen Hedgefonds das Geld. Denn der dumme und dusselige Anleger ist enttäuscht von der schlechten Performance der Hedgefonds. Ihm wurde versprochen, Hedgefonds würden unabhängig von der Marktrichtung gut verdienen, und das hat sich als falsch herausgestellt. Hedgefonds verdienten viel in einer Hausse, nun aber verlieren sie auch viel. Selbst eine Streuung auf mehrere Hedgefonds über Dachfonds von Hedgefonds brachten nicht die gewünschte Sicherheit. Also werden diese Gelder nun abgezogen.

Und die Dachfonds ziehen ihre Gelder entsprechend nun von den enthaltenen Hedgefonds ab. Das Auszahlungsfenster ist kurz und selten (meist nur vier mal p.a.). Da muss man sich nun gegen weitere Kapitalabflüsse absichern und ausreichend Liquidität beschaffen.

Na, und die Hedgefonds, die noch die letzten Oktobertage durch heftige Käufe die Kurse nach oben getrieben haben, um die Bilanz der Rechenschaftsberichte aufzubessern, müssen nun wieder „völlig überraschend" ihre Positionen liquidieren (ja, das ist ironisch gemeint! Im Zusammenhang mit den Hedgefondsmanagern Dumm und Dusselig erklärt sich jedoch eine solche Überraschung, oder?).

Sie sehen: Wir sind alle nur Opfer eines Systems, das wir selbst täglich mit gestalten :-(

Der Ölpreis schwankte heftig, die OPEC versucht verzweifelt, wieder die Kontrolle zu erlangen. Der Goldpreis hingegen hat sich etwas erholt, meine diesbezüglichen Erwartungen habe ich gestern im Monatsbericht an die Heibel-Ticker PLUS Kunden geschickt.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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