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Starlight
18-10-2004, 21:40
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Die Haschisch Generation - Fast die Hälfte der jungen Österreicher hat es probiert

Wie gefährlich ist die Massendroge Cannabis? Sind Sie auch schon mal schwach geworden?



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Sie rauchen es allein oder mit Freunden, vor dem Fernseher und auf Partys.
Die Cannabis-Dröhnung gehört für immer mehr Jugendliche zum Alltag. Neue, künstlich hochgezüchtete Pflanzensorten machen den früheren Stoff der Hippie-Generation zur Power-Droge. Wie gefährlich ist Kiffen wirklich?

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Tina* ist eine Hohepriesterin der Camouflage. „Wenn ich es nicht will, merkt keiner, dass ich eingeraucht bin.“ Dabei hat die 25-jährige Visagistin ihre lustig machenden Selbstgerollten immer dabei. Alle paar Stunden zieht sie einen ihrer zierlichen Joints aus der Silberdose, steckt ihn zwischen die Lippen und zündet ihn an. Langsam und genüsslich, und daran könnte man es doch erkennen: Tina raucht nicht. Sie zelebriert das Kiffen.

Mit 16 drückte ihr ein Bekannter ihre erste Haschischzigarette in die Hand. Mit 18 fuhr Tina nach Amsterdam – ein Trip, von dem ihr primär in Erinnerung blieb, dass sie zwei Tage lang „schwerstens eingeraucht“ war. Als ihre Beziehung in die Brüche ging, zog Tina in eine eigene Wohnung und entdeckte Gras als Mittel, „das die Einsamkeit erträglich macht“. Inzwischen gehört es zu ihrem Leben wie der regelmäßige Besuch des Fitnesscenters. Tina kifft zu Hause, allein, mit Freunden, in Lokalen und sogar zu Weihnachten, vor den Augen der Mutter. „Keine große Sache“, sagt die junge Wienerin. „Meine Mutter sieht ja, dass ich keine Verbrecherin bin.“
Süchtig sei sie nicht. Sie habe nur „bisher keinen Grund gefunden aufzuhören“. 200 Euro zieht sich Tina jeden Monat durch die Lungen, mehr als sie aktuell für ihre Garçonnière Miete bezahlt. Vergangenen Sommer entsagte sie kurzzeitig dem Haschischdunst – ganz problemlos, wenn auch nicht ganz freiwillig. Tina urlaubte in Norwegen, die Haschisch-Vorratsbox blieb, aus Angst vor der Grenzkontrolle, zu Hause. Die zwei Wochen erwiesen sich als Urlaub vom Beschaffungsstress: „Das Einzige, was mich am Kiffen stört, ist, dass ich ständig in ein schummriges Lokal rennen muss, um Nachschub zu besorgen“, klagt Tina. „Sollte Cannabis in Österreich jemals freigegeben werden, bin ich die Erste, die einen Coffee-Shop eröffnet.“

Ahnungslose Kiffer. Immerhin gehört Tina zu jenen aufgeklärten Menschen, die wissen, dass Haschischrauchen verboten ist. Dieser Kenntnisstand ist nicht selbstverständlich. In manchen Kreisen ist der Konsum so alltäglich geworden, dass dieses Wissen erodiert, erzählt Martina Ertl, Leiterin der Drogenberatungsstelle in der Wiener Hegelgasse: „Die Jugendlichen, die in der Schule beim Kiffen erwischt werden, werden zu uns geschickt. Da sind immer wieder welche darunter, die glauben, dass das eh legal ist.“

Geht es nach Janko, einem freischaffenden Künstler aus Kärnten, ist die Freigabe ein Gebot der Stunde. In Sachen Cannabis predigt der 19-Jährige – wie viele seiner Altersgenossen – die Devise „Leben und leben lassen“: „Jeder trägt allein die Verantwortung. Man muss die Leute zur Selbstkritik erziehen.“ Staatliche Verbote hätten noch nie geholfen. Wenn Janko – laut Eigendefinition ein „Gelegenheitskiffer“, der manchmal jeden Tag kifft, manchmal wochenlang nichts – durch den Burggarten streunt, sieht er Halbwüchsige im Kreis sitzen und die Bongs herumgehen lassen: „Du darfst mit 14 ja auch keinen Wodka saufen. Und wer bitte hält sich dran?“

Hasch statt Alkohol. Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen gab es früher und gibt es heute. Doch so selbstverständlich, wie vor 15 Jahren Alkohol konsumiert wurde, sagt Sophie Lachout vom Drogenpräventionsprojekt Check it, „so selbstverständlich wird heute Cannabis geraucht“.

In den siebziger Jahren galt Kiffen als unverzeihliche Gesetzesübertretung. Wer erwischt wurde, flog von der Schule. Eltern, die für den Drogenausrutscher des Nachwuchses Verständnis aufbrachten, waren eine statistisch nicht erfassbare Spezies. Seither hat sich viel geändert: Die kleinen Händler, die das Haschisch aus Nepal, Marokko oder der Türkei im Reisekoffer importierten, überließen das Geschäft einigen Drogenbossen, die den Stoff tonnenweise und in drittklassiger Qualität ins Land schafften.

Dies schuf Nachfrage nach Pflanzensorten für den Eigenanbau. So genannte „Grow Shops“ schossen wie Schwammerln aus dem Boden. Die gesellschaftliche Einstellung zu Drogen wurde liberaler. Es wuchs eine Generation heran, die zwischen weichen und harten Drogen zu unterscheiden gelernt hatte und wenig dabei fand, sich nach Büroschluss mit einem Joint zu entspannen. In den Gemüsegärten der Großeltern am Land, auf Stadtbalkonen, im Wienerwald, im Schilfgürtel rund um den Neusiedler See, in Abstellkammern und Kleiderkästen – überall sprossen kleine Plantagen für den Eigenbedarf.

Laut europäischer Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) in Lissabon hat jeder fünfte Europäer im Alter zwischen 15 und 64 – das sind 50 Millionen Menschen – Cannabis schon probiert. In den jüngeren Generationen hat bereits jeder Dritte einmal gekifft. Ende des Vorjahres befragte das Marktforschungsunternehmen Ifes im Auftrag des Fonds Soziales Wien 670 Wienerinnen und Wiener zum Thema – und kam zu einem ähnlichen Befund: 16 Prozent der Befragten haben Hanfprodukte konsumiert. In der Altersklasse der unter 30-Jährigen gestanden vier von zehn Befragten Hanferfahrungen ein, bei Schülern und Studenten waren es 44 Prozent.

„Cannabis ist die meistverbreitete illegale Droge unter Jugendlichen“, sagt der Wiener Drogenbeauftragte Alexander David. Doch längst nicht jeder Kiffer ist ein Wiederholungstäter: Etwa die Hälfte zieht ein paarmal an einem Joint und lässt wie-der die Finger davon; rund ein Viertel raucht sich regelmäßig ein – die wenigsten davon driften in einen problematischen Konsum ab. David: „Im Verhältnis zu Alkohol und Nikotin ist das Suchtpotenzial von Cannabis gering. Das ändert sich allerdings mit neu auf den Markt kommenden Pflanzen.“ Das hochgezüchtete Power-Kraut fährt mit 20 bis 25 Prozent THC-Gehalt statt bisher üblichen 0,5 bis 5 Prozent. Tetrahydrocannabinol ist der psychoaktive Hauptwirkstoff von Cannabis.

Das Argument, Cannabis sei der Beginn einer Drogenkarriere, die mit einer Nadel im Arm ende, hat dennoch seinen Schrecken eingebüßt. „Die Einstiegsdroge Nummer eins ist der Alkohol“, relativiert der Wiener Drogenkoordinator Michael Dressel. Laut erwähnter Ifes-Studie waren elf Prozent der Befragten noch keine 14 Jahre alt, als sie das erste Mal ein Glas Alkohol bis zur Neige leerten. Bis zum ersten Joint dauert es in der Regel ein, zwei Jahre länger – und er wird nicht vom Dealer bezogen, der vor der Schule lauert, sondern von Freunden und Bekannten.

Pinkeltest. „Willst probieren?“, wurde Barbara S. vor drei Jahren auf einer Party gefragt. Die Oberösterreicherin, damals 16, nahm ein paar Züge und ließ den Joint weiterwandern. Bei diesem Konsummus-ter ist es geblieben: Wenn einer etwas zum Rauchen hat, zieht Barbara mit an, ansonsten lässt sie es bleiben. Erst vor kurzem wurde in ihrer Heimatstadt Bad Ischl die Marihuana-Szene ausgehoben. Jetzt müssen in der 8000-Einwohner-Stadt, in der jeder jeden kennt, dutzende Jugendliche zum Pinkeltest. Noch mehr als Polizeirazzien fürchtet Barbara die Folgen notorischen Haschkonsums: „Die Vielkiffer lassen sich hängen, setzen sich keine Ziele, haben auf nichts Bock.“ Da halte sie es mit ihrer Mutter, die sich vor kurzem, durch Berichte in den Lokalmedien aufgescheucht, vertrauensvoll an ihre Tochter wandte: „Es ist okay, wenn du rauchst, solange es nicht zur Sucht wird.“
Max, 17, gönnte sich die erste Dröhnung mit 15, später als die meisten seiner Freunde, „aber ich halte nichts vom Gruppenzwang“. Seither raucht der Waldorfschüler getreu dem Credo „A joint a day keeps the doctor away“. Am Wochenende dürfen es auch mehr sein. Dass ein Gramm Cannabis im Stadtpark zehn Euro kostet und man um dieses Geld oft einen Stoff bekommt, „der zur Hälfte aus Schnittlauch besteht“, ergrimmt Max mindestens so sehr wie die Gesetzeslage: „Es gehört verboten, dass Cannabis verboten ist.“ Max schwört auf die Substanz. Die Berufsschüler, die „schon in der Früh beim Würstelstand ihre Bier saufen“, können ihm gestohlen bleiben: „Ich bin Pazifist. Vom Alkohol wird man nur aggressiv.“

Glaubt man Ewald Höld, Leiter des Wiener Instituts für Suchtdiagnostik, bildet Max in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Der Psychiater ist hauptberuflich damit befasst, Kiffer zu begutachten, deren Anzeigen von der Staatsanwaltschaft wegen „geringer Menge“ zurückgelegt wurden. Pro Jahr gibt es 20.000 Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz, fast 3000 allein in Wien – rund 4500 werden wegen geringer Menge von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt.

Pilze im Fru Fru. Oft beginnt es mit Schnüffeln. „Es gibt 13-Jährige, die sich in der Schule ein Feuerzeug in die Armbeuge klemmen, sodass es der Lehrer nicht sieht und es langsam leer schnüffeln“, sagt Höld. Andere dämmern mit Sahnekapseln aus dem Supermarkt oder Wundbenzin aus der Apotheke weg. Zum trägen Abhängen mit Freunden konsumieren die Jugendlichen Cannabis, für das stundenlange Abtanzen in Clubs steigt man auf Ecstasy um. Und am Wochenende pfercht sich die Clique in einen Bus, fährt aufs Land und hält, auf allen Vieren durchs Gelände robbend, Ausschau nach Psilocybin-Pilzen. Diese müssen, um ihre Wirkung zu entfalten, roh genossen werden und werden – zwecks geschmacklicher Aufbesserung – in ein Fru Fru gebröckelt.

Aus der Sicht Hölds teilen sich die Jugendlichen streng in zwei Lager: „Die einen nehmen Drogen, die anderen nehmen keine.“ Auf Basis aktueller Jugendstudien konstatiert Höld zwei gegenläufige Entwicklungen: Die eine ist mit „neue Nüchternheit“ zu betiteln, die andere mit „der neue Rausch“. Die Vertreter der Abstinenzfraktion sind körperbetont und gesundheitsbewusst und lehnen chemische Glückskrücken ab. Die wachsende Gruppe der Zugedröhnten schätzt Höld auf sieben bis 15 Prozent der Jugendlichen. Vor zehn Jahren war sie halb so groß.

So wie Mario W., 21, der der Polizei bei einer Handyüberwachung ins Netz ging. Mit 15, 16 begnügte sich Mario noch mit Cannabis. Vor einem Jahr lud ihn ein Freund ein, eine Line Koks mit ihm zu teilen. Mario kam auf den Geschmack. Mit drei Gramm des weißen Pulvers wurde jedes Wochenende „zum Erlebnis, nur der Tag danach war nicht so toll“.

Koks ist der prestigeträchtigere Stoff. Cannabis ist alltäglich, aber selbst bei der konsumierenden Jugend nicht mehr unbedingt hip. Die Wiener Pädagogikstudentin Karla, 22, raucht, seit sie 17 ist. Nüchtern machen ihre Abende keinen Spaß mehr: Fernsehen ohne Joint ist für sie wie Sachertorte ohne Schlagobers. Von ihren Eltern, die sich selbst regelmäßig einen Ofen gönnen, hat sie wenig Widerstand zu gewärtigen. Um sie zu schockieren, hätte sie schon „ein Junkie werden müssen“. Karla kennt 50-Jährige, „die ewig kiffen“. Zwar seien ihr „die immer noch lieber als alte Säufer“. Zum Vorbild taugen sie freilich nicht: „Die sind viel zu waach, Hippies halt.“

Johnnys Eltern sind genau das Gegenteil. Der 25-jährige Austrotürke zählt seit Jahren zu den „heftigen Kiffern“. In der HipHop-Szene, wo er groß geworden ist, gehört das Rauchen dazu. Seiner Einschätzung nach haben 90 Prozent aller Wiener Türken zwischen 25 und 35 Jahren schon einmal gepafft. Seinen Eltern hat er das stets verheimlicht. „Wenn meine Mutter erfahren würde, dass ich Cannabis rauche, hätte sie sofort das Bild vom Heroinjunkie vor Augen.“
Auch die Wiener Designerin Bettina, 23, ist heilfroh, dass ihre Mutter ihrem Joint-Verschleiß noch nicht auf die Schliche gekommen ist: „Das gäbe ein Theater.“

Szenekonsum. Auch die Generation der drogenaufgeklärten, liberalen Eltern kommt zusehends in die Bredouille. Selbst Alt-68er, einem Joint zum Fernsehprogramm nicht abgeneigt, goutieren es nicht, wenn ihr Nachwuchs anfängt, sich nach der Schule zuzudröhnen. Peter P., Jahrgang 1950, hatte als Gymnasiast ein paarmal Haschisch probiert. Nach der Matura trampte er durch Asien, beschäftigte sich mit Buddhismus und probierte so alles aus, was der Drogenmarkt hergab. Das war nicht wenig und alles andere als harmlos.
Als ihm seine 15-jährige Tochter Charlotte eröffnete, dass sie am Wochenende gern ein paar Joints inhaliere, war er schwer geknickt. Mit gebotenem Ernst setzte er ihr auseinander, dass dies verboten sei. „Meine Sorge war, dass sie durch das Kiffen irgendwann gezwungen ist, kriminell zu werden.“ Die Tochter konterte, erwartungsgemäß, er habe auch Drogen konsumiert und könne ihr diese Erfahrung nicht absprechen.

Verbote, Drohungen, Falschmeldungen verfehlen im besten Fall ihre Wirkung und sind im schlechten Fall kontraproduktiv. Erwin, 22, begann mit 17 zu kiffen. Aus Neugierde. Heute raucht er so viel, dass er selbst findet, er treibe es „zu arg“: „Zeitweise rauche ich von früh bis spät.“ Die Menge hängt vor allem davon ab, wie hoch die Barmittel sind. Erwin baut teilweise selbst an, besorgt sich den Stoff aber auch über Freunde. Die Tatsache, dass man illegale Substanzen konsumiert, sagt Erwin, „macht einen hellhörig: Was ist gut? Was ist schlecht? Wer bestimmt darüber? Da kommt man schnell zur Einsicht, dass die öffentliche Meinung zweifelhaft ist.“ Von wegen Cannabis als Einstiegsdroge: „Ich habe noch nie einen Dealer getroffen, der mir etwas anderes angeboten hätte.“

Hinter dem kollektiven Zudröhnen stehen oft tief schürfende Konflikte. Viele Kiffer fallen in die Kategorie „recreational use“, beobachtet Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz im Wiener AKH: „Man muss immer schneller immer mehr leisten, auch beim Entspannen, und da wird mit Cannabis nachgeholfen.“ Der Wiener Drogenkoordinator Dressel ortet einen „generellen Trend, seine Befindlichkeit mit Substanzen zu beeinflussen“.


Kiffen ist eine Alltagsdroge, Teil von Jugendszenen und, nach wie vor, eine Form der Auflehnung gegen elterliche Vorherrschaft. Die Drogenkonsumenten in der Phase der Adoleszenz zu kriminalisieren kann diese schnell an den Rand der Gesellschaft treiben. Dressel hält die im Drogenkonzept der Stadt Wien aus dem Jahr 1999 festgeschriebene Forderung „Freigabe nein, aber ja zu einer weiteren Entkriminalisierung“ für den einzig gangbaren Weg: „Leichtere Fälle sollten ganz aus dem Strafrecht herausgenommen werden, wie das in anderen Ländern schon der Fall ist“. Gerade die, die am stärksten absturzgefährdet sind, seien mit Verboten am wenigsten zu erreichen. Dressel: „Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als ein Klima zu schaffen, in dem Jugendlichen die Grenzen zwar deutlich gemacht werden, Grenzüberschreitungen aber nicht gleich tödlich enden."

Quelle: News.at