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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Deutschland verschläft die 50-plus-Gesellschaft


PC-Oldie-Udo
31-08-2004, 10:15
30. August 2004

Auslaufmodell Altenheim


Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahre 2050 wird die Hälfte der Bevölkerung älter als 50 Jahre sein, ein Drittel über 60 Jahre. Doch trotz der dramatischen Veränderung im Altersaufbau zieht die Gesellschaft bislang kaum politische Konsequenzen. So müssten Unternehmen allmählich das Potenzial älterer Arbeitnehmer entdecken, und die Arbeitnehmer müssten sich mit dem Gedanken an ein höheres Renteneintrittsalter vertraut machen. Die Marktmacht der Alten ist schon jetzt nicht mehr zu ignorieren.

"Die heutige Altenpolitik ist auf einem Auge blind", bemängelt die seniorenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Irmingard Schewe-Gerigk, zum Auftakt des Fraktions-Kongresses zum demographischen Wandel in Berlin. Die Altenpolitik konzentriere sich auf die Pflegepolitik, obwohl die meisten Alten fit und aktiv seien und über eine enorme Kaufkraft verfügten. "Die Ressource Lebenszeit wächst und wird verschwendet wie keine andere Ressource dieser Erde", kritisiert Frank Schirrmacher, Herausgeber der "FAZ" und Autor des Buches "Das Methusalem-Komplott". Dabei hätten Künstler jenseits der 60 noch immer Meisterwerke zu Stande gebracht.



Mit 59 ein neuer Beruf

Irmgard Zecher ist keine Künstlerin, aber sie hat eine Biografie, wie sie beispielgebend sein wird. Die Alterspräsidentin der baden-württembergischen Grünen hat mit 50 den Führerschein gemacht, mit 59 Jahren einen neuen Beruf erlernt und mit 78 auf Malta Englisch gebüffelt. Mit 84 Jahren war sie am Samstag eines der Gründungsmitglieder der Seniorenorganisation der Grünen. Gegen das Wort "Seniorin" hegt sie allerdings eine Abneigung - wegen der Klangähnlichkeit mit "senil". Zecher sagt von sich selbstbewusst: "Ich bin eine Alte."

"Das Bild und das Selbstbild des Alters hat sich heute schon radikal verändert", meint Grünen-Fraktionschefin Krista Sager. Kulturell komme das aber mehr zum Tragen als politisch. So rockten jung gebliebene Alte beim Rolling-Stones-Konzert, aber zum Wirtschaftsleben wollten sie oft nichts mehr beitragen. "Die eiserne Mauer" der 65 Jahre für den Renteneintritt könne nicht ewig halten, sagt Sager. Auch Schewe-Gerigk fordert eine Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit. Für sie ist vorstellbar, dass die Rente generell nach 45 Berufsjahren gezahlt wird - unabhängig vom Alter.


Schluss mit der Diskriminierung

Gleichzeitig fordern beide, dass die Unternehmen aufhören, Arbeitnehmer jenseits der 55 Jahre zu diskriminieren. Die bisherige Praxis der Frühverrentungsprogramme sei "eine Abwertung der geistigen und körperlichen Leistungen Älterer, für die es keine wissenschaftlichen Belege gibt", sagt Schewe-Gerigk. "Dass die geistigen Kräfte nachlassen, gehört zu den wissenschaftlichen Mythen", kritisiert auch Schirrmacher.

"Wir haben einen Schatz zu heben", befindet auch Verbraucherministerin Renate Künast angesichts der demographischen Entwicklung. Das Erfahrungswissen der Älteren müsse wieder in die Berufswelt integriert werden. Das Statistische Bundesamt ermittelte, dass die Gesellschaft schon 2020 von den 50- bis 64-Jährigen dominiert werden wird. Diese Altersgruppe stelle dann 39 Prozent des Arbeitskräftepotenzials.


Senioren brauchen "barrierefreie Produkte"

Künast ruft auch dazu auf, die Alten als Marktmacht zu entdecken. Ältere seien mehr als Omas und Opas, die Bonbons an ihre Enkel verteilten, wie es die Werbung suggeriere. Alte Menschen bräuchten etwa auf sie zugeschnittene Finanzdienstleistungen, Reisen mit Pflegepersonal, Verpackungen, die auch mit zitternden Händen zu öffnen sind, und verständliche, großgedruckte Gebrauchsanweisungen - mit einem Wort: "barrierefreie Produkte".

Insbesondere weist Künast auf die veränderten Ernährungsbedürfnisse im Alter hin. Über 60-Jährige benötigten weniger Energiezufuhr, aber genauso viele Vitamine und Nährstoffe. Die Grünen-Politikerin kritisiert in dem Zusammenhang, dass Essen in Pflegeeinrichtungen häufig nicht diesen Bedürfnissen entspreche. Besonders die Flüssigkeitsversorgung sei mangelhaft.

Das Altenheim sei ohnehin "ein Auslaufmodell", meint Schewe-Gerigk. Sie fordert staatliche Förderung für Mehrgenerationenwohnen und Altenwohngemeinschaften statt für Heimplätze. Sager resümiert, dass insgesamt eine Ressourcenumschichtung vonnöten sei: zum einen für Kinderbetreuung und Ausbildung, zum anderen für die Gestaltung der Altersgesellschaft.


http://www.n24.de/politik/inland/index.php/a2004083011255344120