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Switch
29-04-2004, 23:03
Der erfundene "Boom" der 90er Jahre


US-Wirtschaft. Dr. Kurt Richebächer ist Herausgeber des in den Vereinigten Staaten erscheinenden Wirtschaftsbriefes "Richebaecher Letter". In den 70er Jahren war er Generalbevollmächtigter der Dresdner Bank. Den folgenden Redetext legte er einer Konferenz des Zayed-Zentrums für Koordination und Abverfolgung vom 19.-20. August 2002 in Abu Dhabi vor, die unter dem Thema "Neuer Wirtschaftsliberalismus" stand.
Zum ersten Mal in den 50 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die ganze Welt zeitgleich von einem wirtschaftlichen Niedergang erfaßt. Dafür gibt es in der Geschichte nur einen Präzedenzfall: die Weltdepression der 30er Jahre. Die auffälligste Gemeinsamkeit beider Perioden ist die vorherrschende Rolle der Vereinigten Staaten. Nachdem die USA an der Spitze eines synchronen weltweiten Booms gestanden hatten, stehen sie nun entsprechend an der Spitze des synchronen Abschwungs.

Zwischen den beiden Fällen amerikanischer wirtschaftlicher Vorherrschaft existieren jedoch auffällige Unterschiede. In den 20er Jahren überschüttete Amerika als "Kreditgeber der letzten Instanz" die Welt mit exzessivem Kredit, in den 90er Jahren hingegen wurde es zum "Verbraucher der letzten Instanz" und überschüttete den Rest der Welt mit einem ungekannten Übermaß an Konsumausgaben. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre lag der Anteil der Verbraucherausgaben am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den USA bei 82%, während es normalerweise zwei Drittel sind.

Tatsächlich handelte es sich bei dem Wirtschaftsboom der 20er Jahre in ganz ähnlicher Weise hauptsächlich um einen Kredit- und Kaufrausch der Verbraucher, ausgelöst durch die Erfindung der Teilzahlung. Aber verbliebene Sparguthaben und schwache Investitionen sorgten für einen chronischen Überschuß der Leistungsbilanz. Die jüngsten Exzesse überstiegen die der 20er Jahre um ein Vielfaches und trieben die Leistungsbilanz in ein massives Defizit.

Die Frage, wann die [amerikanische Notenbank] Federal Reserve ihre entscheidenden politischen Fehler beging, die eine lange Depression auslösten, ist ein alter Zankapfel zwischen amerikanischen und europäischen Ökonomen. War es die übermäßige monetäre Lockerung Ende der 20er Jahre, vor dem Aktienkrach? Diese Meinung herrscht in Europa vor und ist stark von der österreichischen Theorie beeinflußt. Oder war es die übermäßige Geldverknappung nach dem Crash, Anfang der 30er Jahre? Das ist die vorherrschende amerikanische Meinung, wie sie seit den 60er Jahren von Prof. Milton Friedman gelehrt wird.

Ich bin ein großer Anhänger der Logik der österreichischen Theorie. Sie besagt, daß die Schwere und Dauer jeder Depression oder Rezession entscheidend von zwei Bedingungen abhängt: erstens dem Ausmaß der strukturellen Fehlanpassung, die sich in der Wirtschaft während des Booms entwickelt hat, und zweitens der Anspannung und Belastung des Finanzsystems.

Das erscheint mir eine geradlinige Logik. Darüber hinaus spricht die historische Erfahrung für sie. Meiner Auffassung nach ist der Schlüssel zur Beurteilung der amerikanischen Wirtschaft darin zu sehen, daß sie Jahre des maßlosesten Kreditexzesses der Geschichte hinter sich hat. Und wichtig ist, daß dieser Kreditexzeß sich lange genug auswirken konnte, um bei der Verteilung der Mittel schwere Störungen hervorzurufen.


Widerspruch zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

Das Schicksal der amerikanischen Wirtschaft ist definitiv die Schlüsselfrage für die Weltwirtschaft und für die Aussichten auf den globalen Aktienmärkten. Früher in diesem Jahr herrschte die Konsensmeinung, die US-Wirtschaft habe die Flaute des vorangegangenen Jahres gut gemeistert, und sie werde in diesem Jahr mit einer Wachstumsrate von weit über 3% einen Aufschwung der Weltwirtschaft anführen und entsprechend starke Gewinne an den weltweiten Aktienmärkten anstoßen.

Die große Überraschung der letzten Monate war das Gemetzel an der Wall Street, von dem alle Nationen der Welt betroffen waren, welches in einem unheilvollen Gegensatz zu den optimistischen wirtschaftlichen Prognosen und Erwartungen stand. Diese dramatische Diskrepanz zwischen dem kläglichen Verhalten der Börsen und der optimistischen Wahrnehmung der Wirtschaftsaussichten erklärte man allgemein wegwerfend mit einer irrationalen Verschlechterung der Marktpsychologie wegen der verbreiteten betrügerischen Praktiken bei den Unternehmensbilanzen. Diese Sicht schloß die tröstliche Schlußfolgerung ein, alles werde bald wieder gut werden, sobald die Regierungen ausreichenden Reformwillen beweisen.

Das ist barer Unsinn. Mein eigener Eindruck der Beziehung zwischen wirtschaftlicher Wahrnehmung und wirtschaftlicher Realität in den USA ist das genaue Gegenteil. Die immer noch vorherrschende Wahrnehmung, die Wirtschaft sei im Kern stark und gesund, ist viel besser als die sehr häßliche Wirklichkeit. Der maßlose Kreditexzeß der vergangenen Jahre hat die ganze Struktur schwer geschädigt und veformt.

Der Versuch einer Einschätzung der Aussichten der US-Wirtschaft muß mit der Erkenntnis beginnen, daß der gegenwärtige Niedergang radikal anders ist als jeder andere, den man in der Nachkriegszeit erfahren hat. Diese hatten alle ein und denselben Auslöser oder Grund: Alle früheren Rezessionen wurden durch Geldverknappung ausgelöst, mit der die Federal Reserve auf steigende Inflation reagierte. Sobald die Fed die Geldschraube wieder lockerte, lief die Wirtschaft prompt wieder.

Der derzeitige Niedergang der amerikanischen Wirtschaft ist in der Geschichte insofern einzigartig, als er sich vor dem Hintergrund einer zügellosen Geld- und Kreditschöpfung vollzog. Als im Jahr 2000 der Wirtschaftsboom und die Wirtschaft plötzlich einbrachen, wuchs das Kreditvolumen um 1700 Mrd. Dollar, gegenüber einem realen Wachstum des BIP um 332 Mrd. Dollar. Doch dies stand für eine ziemlich ausgeprägte Schwächung.

2001 war es noch seltsamer. Während die US-Notenbank ihre Zinsen im beispiellosen Tempo senkte, ging es mit der Wirtschaft und den Börsen weiter dramatisch abwärts. Die Fed konnte zwar das bereits hemmungslose Geld- und Kreditwachstum noch erfolgreich beschleunigen, aber dieser monetäre Effekt half der Wirtschaft und den Aktienmärkten überhaupt nicht.

Noch bis vor recht kurzer Zeit schien es, als sei die amerikanische Wirtschaft nur von einer milden Rezession betroffen. Das war aber, bevor das US-Handelsministerium kürzlich eine drastische Abwärtsrevidierung seiner Wirtschaftsdaten für die vergangenen drei Jahre bekanntgab. Die neuen Zahlen zeigten, daß die Wirtschaft im vergangenen Jahr nicht nur in einem Quartal, sondern in allen drei letzten Quartalen geschrumpft war. Die Rezession war nicht nur schwerer als früher angenommen, auch die erwartete Erholung fiel deutlich schwächer aus, als man erhofft hatte.

Eine ähnlich drastische Abwärtskorrektur für frühere Jahre hatte es bereits im Juli des Vorjahres gegeben. Den ursprünglichen Berechnungen zufolge hatte das reale jährliche Wachstum des amerikanischen BIP seit 1995 im Durchnitt bei 4% gelegen. Mit der letzten Berichtigung war dieser Durchschnitt auf 2,4% gefallen. Im Vergleich dazu gab es in den 80er Jahren ein Durchschnittswachstum von 2,7%, in den 70er Jahren 3,2% und in den 60er Jahren 4,9%. Das Wachstumswunder der 90er Jahre hat nie stattgefunden.


"Gewinnwunder" wird zur Gewinnkatastrophe

Die schlimmsten Abwärtskorrekturen gab es jedoch bei den Unternehmensgewinnen. Das ehemalige Gewinnwunder des neuen Paradigmas erwies sich am Ende als eine für eine boomende Wirtschaft beispiellose Gewinnkatastrophe. Bei der Beurteilung von Unternehmensgewinnen in den USA mußte und muß man immer zwischen zwei Maßen unterscheiden. Das eine sind die von den Unternehmen berichteten Gewinne, und das andere sind die Gewinne, welche die Regierungsstatistiker aus ihren makroökonomischen Berechnungen herauslesen.

Das angebliche Gewinnwunder, das von der Wall Street mit astronomisch steigenden Aktienkursen gefeiert wurde, fand ausschließlich in den massiv manipulierten Profitzahlen der Unternehmen statt. Im krassen Gegensatz zu diesen Zahlen zeigen die offiziellen Statistiken seit Jahren Gewinne, die gegenüber früheren Geschäftszyklen sehr schlecht aussehen. Diesen Zahlen zufolge sind die Unternehmensgewinne schon seit 1997 nicht mehr angestiegen

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Switch
29-04-2004, 23:04
Ich habe auf diesen Zusammenhang in meinem Nachrichtenbrief seitdem immer wieder hingewiesen. Aber was noch schlimmer ist, auch diese bereits schlechten Zahlen mußten inzwischen noch weiter nach unten korrigiert werden. Das Endergebnis ist, daß das Gewinnverhalten in den letzten Jahren das schlechteste der gesamten Nachkriegszeit war. Die Gewinne fielen bereits, als die Wirtschaft noch boomte. So etwas hat es niemals zuvor gegeben.

Den ursprünglichen Zahlen zufolge stiegen die Unternehmensgewinne im Nichtfinanz-Bereich zwischen 1977-2000 von 504 Mrd. Dollar auf 578 Mrd. Dollar oder um 4,5% jährlich. Die jüngsten revidierten Zahlen zeigen hingegen einen Rückgang von 504 Mrd. Dollar auf 423 Mrd. Dollar. 2001 sanken sie noch weiter auf 333 Mrd. Dollar.

Dies ist in zweierlei Hinsicht eine miserable Gewinnentwicklung: Erstens begann der Rückgang bereits auf dem Höhepunkt des Booms, und zweitens ist der Niedergang nach dem Boom ungewöhnlich steil.

Von 1997 bis zum ersten Quartal dieses Jahres brachen die Gewinne um 42% ein. Da das BIP in dieser Zeit um 23% wuchs, sind die Gewinne im Verhältnis zum BIP und zum Nationaleinkommen buchstäblich kollabiert.

Was diese Zahlen aber noch nicht enthüllen, ist der katastrophalste Aspekt dieser Gewinnkrankheit, nämlich die extrem ungleiche Verteilung auf verschiedene Wirtschaftssektoren. Am schlimmsten wurde der produzierende Sektor getroffen: Hier brachen die Gewinne seit 1997 um 67% ein. Der Einzelhandel dagegen erlebte aus offensichtlichen Gründen einen Anstieg der Gewinne um 27%.

1997 betrugen die Einnahmen des produzierenden Gewerbes 195,5 Mrd. Dollar, gegenüber 63,9 Mrd. Dollar im Einzelhandel. Anfang 2002, kaum fünf Jahre später, waren die Gewinne in der Industrie auf 68,9 Mrd. Dollar geschrumpft und im Einzelhandel auf 81,4 Mrd. Dollar gestiegen (beide Zahlen auf Jahresbasis).

Es sollte offensichtlich sein, daß diese dramatische Umkehrung der Rentabilität beider Sektoren weitreichende Auswirkungen auf die Investitionspolitik hatte. Während der rentable Einzelhandel im Verhältnis zum längerfristig aufrechterhaltbaren Wachstum der Verbraucherausgaben stark überinvestierte und überexpandierte, investierte der weniger rentable Industriesektor viel zu wenig in Fabrikation und Anlagen. Genauer gesagt, er investierte zuviel in die Herstellung von Hochtechnologie-Ausrüstung, aber zuwenig in die Produktion traditioneller Industrieanlagen.


Einbruch der Investitionen

Was bleibt von der paradigmatischen amerikanischen "Neuen Wirtschaft" nach den diversen statistischen Bereinigungen noch übrig? Wie bereits erwähnt, war das durchschnittliche BIP-Jahreswachstum das niedrigste in der gesamten Nachkriegszeit. Das schlimmste ist aber die verheerende Gewinnentwicklung. Sie ist schlicht der Hauptgrund für den verheerenden Einbruch der Unternehmensinvestitionen.

Tatsächlich spiegelte der amerikanische "Wirtschaftsboom" der vergangenen Jahre im Gegensatz zu einer verbreiteten Auffassung keinen Investitionsboom wider. Er war hauptsächlich angetrieben vom größten Verbraucherkredit- und Kaufrausch aller Zeiten. Dies zeigt sich am auffälligsten bei dem Anstieg des Anteils der Konsumausgaben am BIP von normalerweise 67% auf 82%.

Ebenfalls entgegen einer verbreiteten Auffassung ist der Anteil der Unternehmensinvestitionen am BIP gesunken. Hinsichtlich langfristigen Wirtschaftswachstums und Gewinnschöpfung zählen vor allem die Nettoinvestitionen, d.h. Bruttoinvestitionen abzüglich Abschreibungen. Da Investitionen in Hochtechnologie allgemein kurzlebig sind, implizierten diese rasch ansteigende Abschreibungen zulasten der Gewinne. Die Nettoinvestitionen waren schon lange eher gering. Aber im vergangenen Jahr erreichten sie ein Rekordtief von kaum noch 2,5% des BIP.

Nur wenige erkannten, daß der Verbraucherkredit- und Kaufrausch eine schwere Gewinn- und Investitionskrise verhüllte. Angesichts der entscheidenden Bedeutung von Gewinnen und Kapitalbildung für das langfristige Wirtschaftswachstum sind die tieferen Ursachen mit Sicherheit für die amerikanische Wirtschaft die wichtigste Frage überhaupt.

Die Beantwortung dieser Frage beginnt meiner Ansicht nach am besten mit der Wiederholung einer Binsenweisheit über Gewinne. Betrachtet man die Privatwirtschaft im ganzen, sind sie, allgemein gesprochen, die Differenz zwischen Unternehmenseinnahmen und -ausgaben.

Wenn man an Profitschöpfung denkt, machen viele Menschen den Fehler, diese nur aus der Sicht eines einzelnen Unternehmens zu beurteilen. Sicherlich kann ein Unternehmen seinen Gewinn durch Kostensenkung steigern. Aber wenn viele oder sogar alle Unternehmen diesem Rezept folgen, ist der Gesamteffekt genau das Gegenteil, weil die Ausgaben des einen Unternehmens die Einnahmen eines anderen Unternehmens sind. Für die Wirtschaft insgesamt sind Ausgabensenkungen im Endeffekt auch Einnahmeausfälle.

Kostensenkungsmaßnahmen aller Art wurden in den letzten Jahren zur bevorzugten Strategie amerikanischer Unternehmen auf der Jagd nach schneller Gewinnsteigerung. Dies ist kläglich gescheitert, weil es aus den genannten Gründen in der Summe keinen Sinn machte.

Ebenso fehlgeleitet war aus dem gleichen Grund auch die Manie der Fusionen und Übernahmen. Für das einzelne Unternehmen mag dies ein wunderbares Mittel erscheinen, kurzfristig den Gewinn zu steigern, verglichen mit der quälend langsamen Gewinnschöpfung durch Neuinvestitionen. Aber in der Summe hat es wiederum völlig versagt. Das mußte es, weil es dem gleichen logischen Trugschluß aufsaß, daß das, was für ein einzelnes Unternehmen vorteilhaft aussieht, auch für das Ganze vorteilhaft sein müsse.

Bei der Fusions- und Übernahmemanie ging es um astronomische Summen, welche die Aktienkurse nach oben trieben, aber der Nachteil dieser Geldströme ist, daß sie nichts zu den Unternehmenseinnahmen und dementsprechend auch nichts zu den Unternehmensgewinnen beitragen. In dem Maße, wie die Fusions- und Übernahmestrategien zulasten neuer Investitionen gingen - was mit Sicherheit der Fall war - , schmälerten sie mit Sicherheit die Gewinne.


Dollar-Sturz steht bevor

Immer noch gesamtwirtschaftlich betrachtet, bilden in der kapitalistischen Wirtschaft regelmäßige Investitionen die größte und wichtigste Profitquelle. Der hauptsächliche Grund dafür ist die Tatsache, daß steigende Investitionen die Gesamtheit der Unternehmenseinnahmen steigert, während Ausgaben erst getätigt werden, wenn die erste Abschreibung erfolgt.

Volkswirtschaften mit hohen Investitionen sind in der Regel hochprofitabel, Volkswirtschaften mit hohem Verbrauch dagegen in der Regel weniger profitabel.

Seit den 20er Jahren ist die amerikanische Volkswirtschaft im Kern eine konsumorientiert Wirtschaft, in der Verbraucherkredit eine Schlüsselrolle bei der Nachfrage spielt. Aber dies hat sich in den letzten Jahren noch dramatisch verschlechtert - mit verheerenden Folgen für die Gewinne. Der Hauptgrund dafür ist, daß sich ein rasch wachsender Anteil der Binnennachfrage an ausländische Produzenten richtete und deren Gewinne erhöhte, wie das explodierende Handelsdefizit der USA zeigt.

Damit die Gewinne wieder steigen, ist eine Kombination aus höheren Investitionen und höherem Verbrauch nötig. Keines von beiden ist jetzt in Sicht oder machbar. Angesichts eskalierender Verluste und extrem niedriger Einkommenszuwächse ist die wahrscheinlichste Veränderung auf der Nachfrageseite eine Schwächung der Verbrauchernachfrage. Die Immobilienwerte haben sich besser gehalten, was es den Verbrauchern ermöglichte, ihre Wertpapieranlagen in Immobilien zu verlagern. Aber es gibt gute Gründe für die Annahme, daß auch der Eigentumszyklus vor einer Wende steht.

Aus meiner Sicht bewegt sich die amerikanische Wirtschaft unvermeidlich auf eine anhaltende Rezession im japanischen Stil zu. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Ländern: Japan ist ein Überschußland, während die USA ein Defizitland mit einem immensen Zahlungsbilanzdefizit und einer astronomischen Auslandsverschuldung sind. Da die amerikanische Wirtschaft weiter schrumpft, wird es über kurz oder lang eine Flucht aus dem Dollar geben.

Ein kommender wahrscheinlicher Dollar-Kollaps ist zweifellos die größte Gefahr für die amerikanischen Finanzmärkte und für die bedauernswerten ausländischen Dollarinvestoren, die insgesamt Dollaranleihen in der Höhe von mehr als neun Billionen Dollar halten. Das einzige, was den Dollar noch von seinem "jüngsten Tag" trennt, ist die falsche Hoffnung auf einen bevorstehenden Aufschwung.



© Dr. Kurt Richebächer

Switch
30-04-2004, 13:02
Vermögens-Bubble, Inflation und steigende Zinsen

Das war zu viel für die ohnehin angeschlagenen Bullen. Das Bruttoinlandsprodukt der USA ist im ersten Quartal nur um 4,2 Prozent angewachsen nach 4,1 Prozent im Schlussquartal 2003. Erwartet wurden 5 Prozent. Der Preisindex für den persönlichen Verbrauch (PCE-price Index) sprang um 3,2 Prozent nach oben. Im vierten Quartal war er um 1, davor um 1,8 Prozent gestiegen. Der Chain Deflator hat nach erster Schätzung um 2,5 Prozent zugelegt. Erwartet wurden 2, nach zuvor 1,5 Prozent.

Hier tut sich jetzt genau die Schere auf, die für die Konjunkturerholung bedrohlich wird: Das Wachstum erreicht seinen Scheitelpunkt, die Inflation nagt daran ebenso wie steigende Zinsen. Das ist zunächst „volkswirtschaftlicher Alltag“.

Das Bedrohliche der aktuellen Situation liegt aber darin, dass die wirtschaftliche Erholung im wesentlichen getragen wurde durch eine Inflationierung der Vermögenswerte, insbesondere der Immobilienpreise. Die darauf abgestützte Verschuldung stimulierte den privaten Verbrauch, die Inflation der Vermögenspreise pflanzt sich nun in die (Real)-Wirtschaft fort - der Preisanstieg ist keine Folge „gesunden“, „organischen“ wirtschaftlichen Wachstums.

Die berechtigte Angst der Marktteilnehmer zielt darauf ab, dass sich dieser Transmissionsmechanismus umkehrt: Steigende Inflation dreht über steigende Kapitalmarktzinsen den Verbrauchern den Hahn zu. Zusätzlicher Treibstoff für diesen Prozess liegt einerseits in der negativen Sparquote der US-Verbraucher, andererseits in einer Deflation bei den zuvor aufgeblähten Vermögenspreisen. Steigende Zinslast führt zu Hausverkäufen, das drückt auf die Preise, das führt zu einer Unterdeckung bei der Hypothekenbesicherung, was den Verkaufsdruck weiter erhöht. Am Ende bricht der Konsum ein und aus der angelaufenen Inflation wird Deflation. Dies dürfte der eigentliche Gehalt der Angst vor einer Erhöhung der Leitzinsen sein.

Dieser Prozess steckt zwar noch in seinen Anfängen, aber mangels besserer Nachrichten nahmen die Marktteilnehmer gestern weiteres Geld vom Tisch. Daran änderten auch die Arbeitsmarktdaten nichts. Die Zahl der Erstanträge ist auf 338.000 zurückgegangen, etwas stärker als erwartet. (Man kann es auch anders herum sehen: Eine spürbare Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt erhöht die Inflationsgefahr weiter. Gute Nachrichten – schlechte Nachrichten)

Der Phlx Housing Sector Index schloss gestern wie auch der Dow klar unterhalb der 100-Tage-Linie. Der S&P 500 konnte sich zu Handelsschluss gerade noch darauf abstützen, der NDX beendete den Handel deutlich darunter. Der DAX hielt sich zwar noch klar oberhalb, dürfte aber dieser wichtigen dynamischen Marke bei aktuell 3935 nun heute morgen näher treten. Mit dieser Linie sind die ersten Anlaufziele einer Korrektur in vielen Indices erreicht.

Die Märkte werden nun versuchen, sich hier zu stabilisieren. Wie groß sind die Chancen hierzu? Der VIX hat durchaus noch Luft bis zur wichtigen Marke bei rund 18, der TRIN-Index ist im Verlauf des gestrigen Handels keineswegs heiß gelaufen. Beides legt nahe, dass das Potenzial für eine deutliche Gegenbewegung noch nicht groß genug ist. Daher halte ich es für wahrscheinlicher, dass sich die temporäre Schwäche zunächst fortsetzt.

Die Prognosen der http://www.timepatternanalysis.de/ bleiben bei ihren zuletzt generierten Short-Signalen. Mittels der türkisen Linienzüge in den Charts wird weiteres kurzfristiges Abwärtspotenzial angezeigt. Bei Euro-Dollar und den Renditen der 10-jährigen sind zuletzt generierte Umkehrsignale weiterhin aktiv. Öl zeigt sich weiterhin sehr stark.

Die Rohstoffpreise –Öl ausgenommen- bewegen sich auf dem absteigenden Ast. Ich hatte diese Möglichkeit bereits vor einigen Tagen diskutiert und vermutet, einer der Auslöser könnte China sein. Die chinesische Regierung will deutliche Maßnahmen ergreifen, die drohende wirtschaftliche Überhitzung im eigenen Land von zuletzt 9,7 Prozent Zuwachs einzudämmen. Davon sind natürlich alle industriell genutzten Rohstoffe und damit die Metalle besonders betroffen. Mag sein, dass die Märkte hieraus in den nächsten Tagen Hoffnung auf eine Verlangsamung des Preisauftriebs in den USA saugen.

Brian Reading von Lombard Street Research glaubt, dass sich die Politik des billigen Geldes und der Staatsverschuldung in den USA bald rächen. Monetäre Impulse hätten der Wirtschaft einen Kick gegeben, aber die zugrunde liegenden Probleme nur aufgeschoben, nicht gelöst. Das Problem sei jetzt wie bei jedem Junky: Wie wird er „clean“? Die Fed versuche es zwar wie 1994 mit Hinweisen auf eine Erhöhung der Leitzinsen. Das sei aber schon damals gescheitert. Wenn die aufgeblähte Vermögens-Bubble platzt, statt kontrolliert Luft abzulassen, würden die Finanzmärkte sehr heftig reagieren. Zudem sei ein Wirtschaftskollaps in China möglich. Das Land sei überinvestiert. Wenn beides zusammen kommt, könnte es 2005 eine weltweite Rezession geben, warnt Reading.