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Alt 08.04.2007, 07:34  #1
Brass
Goaslander
 
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Meine erste Paddeltour



An meinem 16. Geburtstag kaufte ich mir mein erstes eigenes Boot. Es war ein Canadier aus Glasfaserkunststoff. Ein mächtiger 3er Canadier mit Holzsitzen einem großen, abgeschotteten Stauraum im Heck und großem Freibord. Ich taufte es auf Lucky.



Nach den ersten Probefahrten auf dem Salzgittersee, einer ehemaligen Kiesgrube, wollte ich in den Sommerferien einen Fluss befahren. Nach einigem Hin und Her, brachte mein Vater mich samt Lucky und einer durchaus Klondyke tauglichen Ausrüstung an das VW – Werk in Wolfsburg. Hier setzte ich in die Aller ein, die ich nun bis zu ihrer Mündung in die Weser befahren wollte. Ich weiß heute gar nicht mehr, wie viele Kilometer das sind und nachschauen möchte ich jetzt auch nicht. – Es ist Samstag.



An diesem Samstag nun also, packte ich Luckys Bauch und Heck voll, setzte ein ... und kenterte. – Ging ja schon gut los. Die Ausrüstung bot ein schönes Bild, wie sie farbenfroh und munter im Wasser dahin trieb und sich mehr und mehr verteilte und davon schwamm. Klatschnass stieg ich an Land, zog mir die nassen Klamotten aus und sprang zurück ins Wasser um die temperamentvoll davonschippernde Ausrüstung zusammen zu klauben. Doch kaum im Wasser, hörte ich vom Ufer eine energische Frauenstimme. „Junger Mann,“ krächtste es von achtern. „Ich habe die Polizei angerufen, es ist hier nicht gestattet, zu schwimmen. Der Peterwagen muss jeden Augenblick hier sein.“ - Schwimmen ist hier nicht gestattet, dacht ich immer wieder ... schwimmen nicht gestattet. Warum weiß das meine Ausrüstung nicht? Ich beachtete die rüstige Dame nicht weiter, bot ihr mein weißes Hinterteil zur Ansicht und tauchte nach dem Gaskocher. – Muss ja hier irgendwo liegen. Ich erwischte ihn beim vierten Versuch. Dann machte ich mich dran, die auf dem Wasser davonschwimmenden Sachen zu holen, kraulte im Stile von Lex Baker, tarnzanähnlich durch den Dschungel, halt es ist die Aller .. Wolfsburg .. Polizei.. wo bleibt die eigentlich?? .. Ich schaute zurück ans Ufer, wo Lucky kopfüber friedlich im Wasser dümpelte und sah nun schon vier Frauen wild gestikulierend lauthals mit zwei düster dreinschauenden Polizeibeamten palavern.



Ich schwamm weiter. Als ich alles beisammen hatte, merkte ich, dass mir die Wasserströmung keine Chance geben würde, mein Boot schwimmend zu erreichen. Also querte ich den Fluss und stieg an Land. Schwer beladen stapfte ich zurück. – Wenn jemand schon einmal in Unterhosen schwimmen ging, kann er sich vorstellen, welch meisterhafter Qualität ein Bündchengummi sein muss, die nasse Hose nicht an die Gravitation zu verlieren. Ich hatte in dem Augenblick keine Ahnung, welch heroischer Kampf sich kurz oberhalb meiner Leisten bei jedem Schritt abspielte. Wie eben dieser Gummizug sich mit nahezu übermenschlicher Gewalt gegen die Physik stemmte. – So erreichte ich die kleine Versammlung, die mich scheinbar schon sehnlichst erwartete. Angekommen, ließ ich die Sachen fallen und stellte mich der Ansprache. Beim letzten Schritt spürte ich, wie der Gummizug seinen Kampf verlor. Alles kam ins Rutschen, was nicht rutschen sollte. Doch es gelang mir, geistesgegenwärtig, die Hose noch mit zwei fingern zu erwischen, bevor sie ihren Zweck vollends verlor.



Fortsetzung folgt. ...



So stand ich nun also da und hörte mir geduldig frierend an, was die vier Damen über mich zu berichten wußten. Als sie mit ihrem Geschnatter endlich ein Ende fanden, drehte sich einer der beiden Uniformierten mir zu und mußterte mich mit grimmiger Mine: „Nun der Herr, was haben wir denn zu diesen Beschuldigungen zu sagen?“ Jedes seiner Worte drang in mich, wie eine Nadel. Mein Herz begann noch schneller zu rasen, mir wurde heiß.

„Herr Wachtmeister,“ setzte ich an... „Polizeiobermeister Dolder!“ fauchte er mich an. „Herr Oberpolizeimeister“, seine Mine verfinsterte sich noch mehr. „ich bin zum Paddeln hergekommen, nicht zum Schwimmen.“ Seine Stimme dröhnte los: „Dazu gehört ja wohl ein Boot, nicht wahr??“ „Aber Herr Meisterpolizist, es liegt doch da.“ Ich deutete auf die Stelle, wo Lucky im Wasser lag. – Keine Lucky zu sehen, das Ufer war zu hoch und zu steil. „Ich sehe da aber kein Boot.“ Donnerte er im schönsten Opernhausbariton. Um ihn von meinen ehrenhaften Absichten zu überzeugen, ging ich, meine Unterhose vergessend, beherzten Schrittes los, um Lucky an die Oberfläche zu holen. Die Hose sackte mir bis in die Kniekehlen, die Damen kreischten vergnügt empört: „Lüstling!!!“ Eine von ihnen wurde kreidebleich, als ich mich umdrehte, um mich entschuldigen zu wollen, die anderen verloren fast ihr Gebiss....



Als ich gut zwei Stunden später mit dem Taxi von der Polizeistation zurück zu Lucky kam, lag Gott sei Dank noch alles an seinem Fleck. Ich belud das Boot erneut, stieg ein und fuhr nun endlich los.

Wenn man die Stadtgrenze überschritten hat, dauert es nur ein kurzes Stück und man befindet sich im Wald. Die aller fließt dort träge in einem kanalisierten Bett, die Ufer sind unüberblickbar hoch und aus der Ferne drängt sich der Verkehrslärm auf. – Also war es schon mal Essig mit meiner Vorstellung von wildromantischer Abenteuernostalgie. Aber ich lernte mein Boot kennen, was mir später durchaus noch zu Nutze sein würde.

Der Tag wurde brütend heiß, mein Trinkwasservorrat neigte sich dem Ende entgegen, also beschloss ich, im nächsten Ort zu Rasten, mir frisches Wasser zu besorgen und vielleicht noch ein Stück Kuchen zu ergattern. So paddelte ich froh vor mich hin und genoß die jetzt doch endlich eingekehrte Ruhe, das Singen der Vögel und das tausendfache Zirpen der Grillen. Als ich ermattete, beschloss ich, ein kleines Nickerchen zu machen, ein Dorf war ja nicht in Sicht. Ich ließ Lucky durch das immer träger werdende Wasser treiben, packte mir einen weichen Rucksack in den Nacken, legte die Beine ein und schaute in das tiefe Blau des Sommerhimmels über mir. – Vom stetig lauter werdenden Rauschen vernahm ich eigentlich nichts mehr. Die Augen vielen mir zu und die kleinen Bewegungen des Bootes wiegten mich in den Schlaf.

Eine Sohlschwelle ist ein gemeines Bauwerk. Geschaffen, um den Fluss zu regulieren, das Wasser mit Sauerstoff zu bereichern und quer über sie hinwegtreibende Boote zu kentern. Bis ich registrierte, dass ich im Wasser lag und Lucky kopfüber flott Fahrt aufnahm in der munteren Strömung unter der Sohlschwelle, verging ein kleines Weilchen. Ich krabbelte auf die Sohlschwelle, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. – Das gleiche Bild, wie am Morgen bot sich mir. Ausrüstung lustig auf den Wellen hüpfend, Lucky fröhlich dahintreibend und klatschnasse Klamotten am Leib, die beim Schwimmen hindern. – Also ...runter damit und hinein ins Wasser. Was ich bis dahin noch gar nicht wahrgenommen hatte, die Sohlschwelle befand sich weder im Wald, noch in den Wiesen, nein, mitten im Dorf war sie. Selbstverständlich zog ich die Blicke missgünstiger Mitbürger auf mich und eine Traube Menschen versammelte sich am Ufer. Auch sie fuchtelten wild in der Luft herum und ließen es sich nicht nehmen, mir deutlich zuzurufen, dass die Polizei bereits informiert worden sei. Da ich wieder keine Badehose trug, beschloss ich, deren Eintreffen dieses mal im Wasser zu erwarten. Polizeiobermeister Dolder war hocherfreut, als er mich sah.



-Fortsetzung folgt. –
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Brass
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Alt 08.04.2007, 09:56  #2
Lyra
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Standard Re: Rohtext

Äusserst amüsant, ich freue mich schon auf die Fortsetzung! Hast Du schon mal daran gedacht die Geschichte zu veröffentlichen?
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Lyra
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Alt 08.04.2007, 13:34  #3
Brass
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Standard Re: Rohtext

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Alt 08.04.2007, 13:36  #4
Brass
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Standard Re: Rohtext

Mir wurde vorgeworfen, in einem Laichschutzgebiet geschwommen zu haben. Dolder schien aber besserer Laune zu sein, als noch am Morgen. Er beließ es bei einer Verwarnung. Aber er bestand darauf, wenn ich meine Fahrt fortsetzen wollte, dann nur in Badehose. – Die Idee fand ich gut.



Ich ging ins Dorf und besorgte mir die Verpflegung, packte alles ins Boot setzte mich rein und fuhr los. Der weitere Tag verlief bis zum Abend recht idyllisch. Dann machte ich mich auf die Suche nach einer geeigneten Stelle, Zelt und Lager aufzuschlagen, was sich als schwieriger gestaltete, wie gedacht. Denn die Aller durchströmte nun ein Gebiet, in dem eingezäunteWiesen sich mit Feldern abwechselten. Als die Dämerung bereits einsetzte, fand ich endlich eine mir genehme Stelle. – Eine Wiese am Dorfrand. Von Kräftigen Buchen gesäumt und zum Ufer hin sanft abfallend. – genial. Ich vertäute Lucky mit gekonntem Mastwurf an einem Weidepfahl und sondierte die Weide. In reichlich 200m Entfernung bemerkte ich eine Frau, die offensichtlich im Begriff war, zu mir herüber zu kommen. Ich ging auf Sie zu, legte mein charmantestes Lächeln auf und begrüßte die Bäuerin mit einem freundlichen: „Guten Abend, ich bin Kanute und möchte hier übernachten. Haben Sie etwas dagegen?“ Die Mine der Bäuerin erhellte sich, was mich froh stimmte. „Aber nein, Du darfst hier gern Dein Zelt aufstellen, ich habe nichts dagegen.“ „Prima,“ dachte ich mir schon. „Dann werd ich als erstes Würstchen grillen und anschließend gleich noch auf dem Grill Wasser aufkochen, für den Tee.“ Da meinte die Bäuerin, dass ich aber kein Feuer machen sollte. „grmpf ... jaaa oookeee „ entfuhr es mir breit.

Der Zeltaufbau ging flott. Das Igluzelt bestand aus drei Fieberglasstäben, einem Innen- und einem Aussenzelt. Der Vorbau des Zeltes, der noch eine Rolle spielen wird, erinnerte entfernt an einen Ärker. Als alles stand und ich es mir so richtig schön gemütlich machen wollte, kam die Bäuerin runter zu mir. „Junge, Du siehst hungrig aus, ich habe Dir ein paar belegte Brote gemacht.“ Mit diesen Worten übergab sie mir einen mitgebrachten Korb. Ich hob den Deckel und fand Brote, Äpfel, Milch, zwei Eier, zwei Stück Zuckerkuchen und eine Kanne Tee. Ich krabbelte umständlich aus dem Zelt, nicht ohne vorher Art und Zustand meiner derzeitigen Beinkleider zu kontrollieren, und bedankte mich herzlich. „Du musst Dich nicht wundern,“ sagte die Bäuerin, „wenn Jockel morgen früh hier vorbei kommt. Er wird nur nach dem Rechten sehen wollen.“ „Jockel?? .. hmmm, wird wohl der Knecht sein,“ fuhr es mir durch den Kopf und sagte eilig zur Bäuerin: „Ja ja, ist schon gut, so lange werde ich morgen nicht hier bleiben, ich fahre noch nach Celle.“ Die Bäuerin stand längst bei Lucky, während ich meine Nase noch immer ungläubig in den Korb steckte. „Du hast ein schönes Boot, ist es neu?“ – „Ja, erste Fahrt für uns.“ Mampfte ich ihr apfelkauend. „Die sind gut, die Äpfel, ich kaufe Ihnen welche ab.“ Die Bäuerin lachte hell auf, „das musst Du nicht. Ich lege Dir ein Dutzend auf die Milchbank. Dort stellst Du bitte den Korb hin.“ Ich nickte und zeigte mich dankbar.

Wieder allein, verstaute ich alle Vorräte sorgfältig, die ich nicht sogleich verzehren konnte, trank den Tee und aß den ganzen Kuchen. Den der Bäuerin und den, den ich selber dabei hatte. So gestärkt grub ich mich tief in meinen Schlafsack ein und schlief sogleich tief und fest.

Am Morgen, kurz vor dem Aufstehen, träumte ich wohl gerade, als tiefe rhythmische Töne mein Zelt erreichten. – Natürlich bekam ich davon nicht wirklich etwas mit. Der Ton änderte für mich unmerklich. Aus den stampfenden, tiefen Klängen, die mit Vibrationen im Boden einher gegangen waren, wurde ein malmendes, gleichmäßiges Rupfen und Kauen. – Ich bekam Hunger. ...rupfen und kauen ... rupfen und kauen ...rupfen und .. „Man hab ich n Hunger...“ Mit diesem Gedanken rollte ich mich aus dem Schlafsack, stand auf und ... schlug mit dem Kopf an das Stangenkreuz des Zeltdaches. „Hoppla, wo...? ach ja ... Paddeltour, Zelten ... oh maaaan .. ich muss ja das Frühstück selber machen!!“ Die Laune, kaum erwacht, wurde schlecht. „Als erstes muss der Tee raus, der drückt gewaltig ... oh neee, da muss ich ja aus dem Zelt raus in die Kälte...brrrrr... doch erst anziehen, dann der Tee, dann Zähne putzen, dann Frühstücken....verdammt, warum klemmt dieser saublöde Zeltverschluss denn so?“ Mit diesen gedankenähnlichen Fetzen im Kopf, versuchte ich mich aus dem Zelt zu befreien. „grrrrr, wenn der Verschluss nicht gleich auf geht, kannst die Badehose vergessen......looooosss geh endlich auuuf duuu duuuu grrrrrrr!!!!!“ RRRAAAAATTTTSSSSSCCCCHHHHHH der Reisverschluss gab nach und mit einem Ruck war das Zelt endlich offen. Auf allen vieren krabbelte ich in Windeseile durch den Ausgang und wollte mich gerade aufrichten, um zu einer der Buchen zu laufen, da saß ich aber auch schon wieder auf dem Hintern. Ich blickte auf, um zu sehen, wo ich da mit dem Kopf gerade gegen gerammt bin. „Verdammt, da stand doch gestern noch kein Baum??“ – Ich rieb mir die Augen, der Baum bekam Haare ... rieb noch mal die Augen ... „Baum mit Haaren und .. und ...und ... Hörnern????“ Ich schreckte zurück und war sofort blitzwach. Ein riesengroßer, bedrohlicher, blutrünstiger, Feuer speiender Bulle.....“boah tut mir die Rübe weh...“ graste gemütlich im Zeltvorbau und ich war mit dem Kopf gegen seine Stirn gerannt, was den Bullen aber nicht weiter zu stören schien. – friedlich rupfte er das Gras und kaute es gemütlich durch. ...rupfen ... kauen ... rupfen ....kauen .... „Jo... Jo.. ….Jockel?“ stammelte ich das massige Tier an.



-Fortsetzung folgt-
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Alt 08.04.2007, 19:35  #5
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Standard Re: Rohtext

Jockel, der Zuchtbulle der Familie Jensen graste friedlich das Gras im Vorbau meines Zeltes ab. Sein Kopf, so mächtig, dass seine Hörner sich an beiden Seiten des Vorbaus an den Zeltwänden wetzten, war wohl der größte Bullenkopf, den ich je sah. „Schreien? Wegrennen? Oder schreien und wegrennen? – Nein, nicht heute, nicht vor diesem Riesenkalb!! Was tun?“ Mein Herz schlug mir zum Hals heraus, Gedanken zuckten durch meinen schmerzenden Kopf. Ich rappelte mich langsam auf und nahm meinen ganzen Mut zusammen. Auf allen vieren krabbelte ich wieder zum Zeltausgang. – „Angst hin, Jockel her ... der Tee muss jetzt raus!“ Jockel sah mich mit seinen großen Augen an. Als er merkte, dass ich vorbei wollte, machte er zwei Schritte zurück. Der Boden dröhnte und vibrierte bei jedem Schritt. Das massige Tier war die personifizierte Gutmütigkeit.

Nachdem ich wieder zum Zelt zurück ging, stand Jockel 2m weiter, schaute mich wieder an und machte vergnügt .. „mmmuuuh“ – „Aha,“ dachte ich mir, des Tees entledigt, das Gefühl der wiederkehrenden guten Laune genießend, „der Herr wünscht Konversation.“ Ich schritt auf ihn zu, wühlte meine Zahnbürste, die Seife und den Rasierer hervor und begann mit der Morgentoilette. Frisches Flusswasser in eine größeren Kunststoffschüssel und einem Duschschlauch gefüllt, war schnell. Den Schlauch hing ich in eine der kleineren Buchen, schön in die Sonne. Jockel legte sich hin und begann, mich interessiert zu beobachten. Nachdem ich alles wieder verstaut hatte, stellte ich Wasser auf, um mir Kaffee zu kochen. Dafür stellte ich den Gaskocher auf eine der Sitze Luckys, die standsicherste gerade Fläche weit und breit. Jockel stand auf, kam näher und streckte seine Schnute zum Wasserkessel... „Lass das!“ .. keine Reaktion, er machte einen Schritt aufs Boot zu. „Jockel du verbrennst dich, lass das!“ – nichts. Er schupperte am singenden Kessel und stubbste leicht dagegen. Ich stand auf, ging zu Jockel und klopfte ihm an den Hals. Jockel wendete sich mir zu. Wieder dieser gutmütige Blick. Ich erinnerte mich an die Äpfel .. ging ins Zelt und holte drei Stück raus. Jockel folgte mir bis kurz vor das Zelt. „Guuuter Junge“ – ich gab ihm die Äpfel. Er schnupperte daran, und rupfte sich statt dessen frisches Gras. „Auch gut.“ Ich hob die Äpfel auf, polierte sie und legte sie gleich ins Staugefäß. Ich goß den Kaffee auf und frühstückte. Jockel legte sich hin und schaute weiter zu. „Zuchtbulle müßte man werden. Den ganzen Tag frisches Gras fressen, immer die hübschesten Mädel, keine Aussicht auf Schlachthof, perfekte medizinische Betreuung und ab und zu Kanuten erschrecken.“ Von künstlicher Besamung der Kühe hatte ich bis dahin nichts gehört.



Als ich alles im Boot hatte, den Korb auf die Milchbank gestellt und die Äpfel mitgenommen hatte, setzte ich mich ins Boot und legte ab. Jockel trat ans Ufer, wo gerade noch Lucky lag und machte „Mmmmmuuuh“ Ich fuhr nocheinmal zurück und streichelte über seine Nase – er blinzelte zufrieden, ich fuhr ab.



Ein Wehr ist ein Bauwerk, geschaffen, die Wasserkraft zu nutzen und Kanuten das Fürchten zu lehren. Das Wehr, auf das ich kurz nach dem Ablegen zu fuhr, war ein so genanntes Überfallwehr. – Das bedeutet, das Wasser, das nicht durch die Triebwerke geht, Fließt über eine riesige Stahlplatte, die senkrecht, quer im Fluss steckt. In diesem Fall betrug der Höhenunterschied reichlich 3m vom Oberwasser zum Unterwasser. An der linken Flussseite gab es eine Bootsgasse. Man fuhr an eine Leine, die mittels eines Galgens vom Wehr aus über dem Wasser hing. Ähnlich einer zugkette, wie von einem Spülkasten an einem Klo.

Jetzt muss man es erst mal fertig bringen, einen so großen Canadier wie Lucky, alleine so zu dieser Leine zu bringen, dass man sie ziehen kann und im richtigen Winkel zu der sich öffnenden Bootsgasse zu sein, damit man hinein fahren kann. Ich brauchte auch 3 oder 4 Anläufe, um dieses kleine Kunststück hinzubekommen. – Doch dann passte alles, Kurs, Winkel und Geschwindigkeit. – Also zog ich die Leine. Eine ca. 100cm breite Klappe fuhr nach unten und ließ das Wasser in die Gasse schießen. Die Gasse war ca. 20m lang und überwand dabei die 3m Höhe. – Man kann sich also vorstellen, da wird’s schnell. – „sehr schnell wird’s – verdammt schnell wird’s ...... schhheeiiiissseee!!!!“ kreischte ich lauthals los. Lucky tauchte in rasanter fahrt ins Unterwasser des Wehres ein, schöpfte etwas Wasser, rappelte sich hoch und schoss über das Wasser dahin, wie ein Wasserski, - fast jedenfalls. Plötzlich ein Schlag im Boot. Ich spürte, wie sich der Boden anhob, dann drank Wasser ein. – viel Wasser. – „Mißt aufgelaufen.“

Weiter gehts im nächsten Winter.
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Alt 08.04.2007, 20:25  #6
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Standard Re: Rohtext

Das kannst Du nicht machen, bis nächsten Winter habe ich nicht Geduld!

Mit "veröffentlichen" meinte ich nicht hier im Netz. Es gibt doch Zeitschriften die Kurzgeschichten veröffentlichen und dafür auch etwas bezahlen! Ich finde Du hast Talent zum Erzählen und Deine Geschichte ist unterhaltsam.
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Alt 09.04.2007, 08:02  #7
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Standard Re: Rohtext

Ach Lyra, ich freue mich ja, wenn Dir meine Geschichte gefällt. Sie hat sich ja auch weitestgehend so zugetragen, wie ich sie nieder geschrieben habe, dass sie aber überzeichnet ist, dürfte jedem klar sein. - Sie soll einfach mal etwas zum Lachen sein. Ich habe sie geschrieben, um sie später mal auf der Web-Site meiner Firma als Eyecatcher zu benutzen. Doch ich habe nie daran gedacht, sie zu veröffentlichen. Ich bin doch kein Schriftsteller.

Vielleicht schreibe ich sie ja auch noch vor dem Winter weiter. Bleibt abzuwarten, wie sich das mit meiner Zeit vereinbaren läßt.
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Alt 09.04.2007, 10:07  #8
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Standard Re: Rohtext

Zitat:
Original geschrieben von Brass
..., dass sie aber überzeichnet ist, dürfte jedem klar sein. - Sie soll einfach mal etwas zum Lachen sein. Ich habe sie geschrieben, um sie später mal auf der Web-Site meiner Firma als Eyecatcher zu benutzen. Doch ich habe nie daran gedacht, sie zu veröffentlichen. Ich bin doch kein Schriftsteller.


Schon klar, aber es ist doch die Freiheit eines jeden, beim Schreiben eine Geschichte etwas "auszuschmücken". Genau darin liegt meines erachtens das Talent: etwas so aufzuschreiben, dass es glaubwürdig und dabei doch amüsant und spannend zu lesen ist. Du hast es ja nicht als Polizeirapport verfasst . Ein Eyecatcher wird sie auf jeden Fall werden!
Zumindest mir gefällt Dein Erzählstil sehr gut.
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Alt 09.04.2007, 10:23  #9
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Standard Re: Rohtext

Dankeschön
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Alt 09.04.2007, 10:40  #10
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Standard Re: Rohtext

Ach wie schön .... hier tut sich was!

Ich werde heute Abend lesen, wenn alle wieder weg sind!
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Erfolg ist die Fähigkeit, von einem Mißerfolg zum anderen zu gehen,
ohne seine Begeisterung zu verlieren.
(Winston Churchill)
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