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Alt 15.01.2002, 09:35  #1
HansA
ProsTaTikeR
 
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"Die Affäre Semmeling"

Die Quoten sind nur Durchschnitt. Hat Dieter Wedel zuviel gewollt? Eine Umfrage

Dieter Wedels Sechsteiler "Die Affäre Semmeling" geht am Montag zu Ende. Er gilt als eine der teuersten Produktionen in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Und Dieter Wedel ist ein seit Jahrzehnten vom Erfolg verwöhnter Autor. Gemessen daran war "Die Affäre Semmeling" eine kleine Enttäuschung. Durchschnittliche Zuschauerzahl pro Folge: knapp sechs Millionen. Woran lag es? Was könnte Wedel falsch gemacht haben? Oder hat er etwa alles richtig gemacht? Wir haben Leute gefragt, die sich auskennen - Produzenten, Autoren, Regisseure, Kritiker.


Ulrich Spies, Adolf Grimme Institut

Dieter Wedel gilt als großer TV-Regisseur und Geschichtenerzähler. Mit zwei erfolgreichen Mehrteilern über die Familie Semmeling legte er in den 70er Jahren den Grundstein für seinen Ruf und späteren Ruhm, der zu Beginn der 90er mit "Der große Bellheim" seinen krönenden Höhepunkt fand. Alles, was danach kam, "Der Schattenmann" oder "Die Affäre Semmeling", konnten und können sich nicht daran messen.

Die Erklärung liegt im unmittelbaren Vergleich zwischen "Der große Bellheim" und "Die Affäre Semmeling": Auch in dem Krimi hinter den Kulissen des Kaufhaus-Konzerns Bellheim ging es um Geld, Macht und Liebe. Aber die Geschichte war dank ihrer Konzentration auf vier herausragende Schauspielerpersönlichkeiten, denen genügend Raum und Zeit gelassen wurde für die amüsante Darstellung ihrer altersverbissen ehrgeizigen, schrulligen und liebenswerten Charaktere und Eigenheiten, stringent und nachvollziehbar erzählt. Das Tempo war genauso stimmig und leicht wie die Musik, der Schnitt und die Opulenz der Bilder. "Der große Bellheim" war Fernsehen auf der Höhe seiner Möglichkeiten.

Auch "Die Affäre Semmeling" gibt vor, die Machenschaften von denen da oben in Politik, Verwaltung und Wirtschaft mit den Problemen und Nöten des "Kleinen Mannes" von unten zu verknüpfen. Doch angesichts der vielen Themen, der Fülle von handelnden Personen und Erzählsträngen hat Dieter Wedel den Faden verloren, produziert "Cliffhänger" in immer kürzeren Abständen und macht damit den Einstieg in Folge zwei schon beinahe unmöglich, wenn man die erste Folge versäumt hat.


Nico Hofmann, Regisseur, Autor, Produzent ("Der Sandmann", "Der Tunnel")

Für mich ist "Die Affäre Semmeling" ein beachtlicher Erfolg. Dieter Wedel ist einer der wenigen Geschichtenerzähler im deutschen Fernsehen, der Figuren über eine so lange Wegstrecke von sechs Teilen aufregend komplex erzählen kann. Robert Atzorn habe ich noch nie so gut gesehen wie in den Semmelings. Vielleicht aber müssen wir Produzenten im Moment auch bitter erkennen, dass sich das Sehverhalten der Zuschauer im Laufe der letzten Jahre doch erheblich verändert hat. Es ist schwieriger geworden in unserer schnelllebigen Zeit, ein Publikum mit einer so hoch komplexen Geschichte, die dazu noch eine sehr große Zahl von Figuren enthält, dauerhaft mit hoher Quote zu fesseln, wie es bei den früheren Wedel-Filmen immer wieder gelungen ist. Das Publikum wird leider immer ungeduldiger. Aber ich bleibe bei meiner Meinung: Für Dieter Wedels intelligentes Erzählfernsehen sind die bisherigen Quoten beachtlich. Wedel sollte stolz sein.


Jürgen Roland, Autor und Regisseur ("Stahlnetz", "Großstadtrevier")

Ich finde sechs Folgen zu viel, und mancher Zuschauer wird sagen, da fange ich erst gar nicht, denn das kann ich gar nicht alles schauen. Wobei die einzelnen Folgen in sich verständlich sind, auch wenn der Film ungeheuer schnell geschnitten ist. Ein wichtiger Grund für die sicher nicht befriedigende Quote: Es gibt keine Figur, mit der sich das Publikum identifizieren kann. Dieter Wedel beschert uns nur Leute mit merkwürdigen Charakteren; die zeichnet er wieder ausgezeichnet und sehr überzeugend. Viele Zuschauer werden auch nicht glauben, dass es in der Politik so zugeht. Und das ist schade, dass sie das nicht glauben.


Uwe Kamman, Kritiker, epd medien

Himmelhohe Erwartungen: ein Kelch für jeden Autor, jeden Regisseur. Gerade wenn er - in Personalunion - als Lichtbringer firmiert. Klappe drüber. Fährt nun der neue Sechsteiler auf einer schiefen Ebene, stracks ins Reich der Vermessenheit? Beileibe nicht. Die Einzelfolgen sind, alles in allem, in vielerlei Hinsicht großes Fernsehen. Mit der Einschränkung: kaum wegen der Geschichte. Die ist, auch bei wachem Verstand, in ihren Einzelsträngen nicht immer leicht zu verfolgen. Obwohl sie, in der Grundkonstellation, Stereotypen des politischen Geschäfts konturiert. Das große Plus dagegen: eine intensive Präsenz der Akteure, eine elegante, auch opulente, aber nie überladene Inszenierung. Milieustudien, Genrebilder, Raumfolgen, Einzelmotive, Szenenwechsel, fließende Rhythmen, perfekter Schnitt. Großes Fernsehen, ja - eine schöne Affäre.


Hans Janke, ZDF-Fernsehspielchef

Sagen wir so: Viel Geld für viel Film für viel Publikum für viel Resonanz für viel Repertoire - Dieter Wedels "Affäre Semmeling" erfüllt, was unsere Erfolgsformel verlangt. 5,8 Millionen Zuschauer (Schnitt nach vier Folgen), die jungen darunter schön zahlreich, fanden sich zu einer Fernseherzählung eigener Art ein. Deren seltener Stoff: die Politik, behandelt auf Wedelsche Weise. Per Patchwork: Schauplätze, Figuren, Dramen, Fakten und wunderbar wahre Erfindungen in Hülle und Fülle, in Szene gesetzt mit einem Star-Ensemble. Und sonst? Jede Menge kritischer Aufmerksamkeit, Gehässiges, Hämisches, Schadenfrohes, Neidmotiviertes wie stets inklusive. Ernstzunehmen ist fast alles, und so geschieht's auch. Aber ein paar Feststellungen dürfen hier auch schon mal sein. Zum Beispiel die, dass anspruchsvolle Miniserien, die etwas Interesse, vielleicht sogar Konzentration erfordern, Quotengipfel à la Jauch-Quiz, Skispringen, Fußballfinale verfehlen. Und womöglich kann der politische Intrigantenstadl, weil wir längst alles gewöhnt sind, alles gesehen haben, als fiktiver nicht mehr recht verfangen. Und vielleicht kommt die "Affäre Semmeling" für Zuschauerinnen ein bisschen sehr männerperspektivisch daher und zudem mit lauter Ambivalenznummern, also ohne positiven Helden. Das alles und noch mehr lässt sich jederzeit anmerken. Vom allerorts und tagelang beredeten Programmereignis, das auch der neue Wedel samt Quotenerwartungs- und -enttäuschungsgetöse geworden ist, nimmt es nichts weg, gar nichts!


Joachim Huber, Kritiker

Das ZDF hatte ein "deutsches Gesellschaftsdrama" versprochen. Wenigstens an zwei Nerven sollte die (Fernseh-)Gesellschaft getroffen werden: Der Deutsche beim Finanzamt, der Deutsche in der Politik. Zwei Aufreger, die keine sind. Steuern werden bezahlt und nach Kräften hinterzogen. Finanzamt ist heute Fernseh-Comedy. Autor Dieter Wedel zeigt, zweitens, Politik in Hamburg, in einem Moment, als die Grünen zum politischen Machtfaktor aufsteigen. Die Grünen? In Hamburg? Aufwind? 15 Jahre her. Wenn Hamburg, dann mit Schill-Faktor. Außerdem: Wedels Bild von Politik und Politikern wirkt so, als wäre es unterm Petra-Kelly-Mikroskop aufgenommen. So kleine Menschenhände gegen so große Macht, Machenschaften, Macher. Diese Proportionen stimmen - heute - nicht. Heike Makatsch, eine Schauspielerin von 2002, kann eine glubschäugige Grüne nicht mehr geben, ein Stefan Kurt nicht mehr den Moral-Prinzen, der als korrupter Frosch wachgeküsst wird. Hänschen Klein, das war einmal. Draußen im Land herrscht Gelassenheit, im besseren Teil, Gleichgültigkeit im schlechteren. "Die Affäre Semmeling" fällt aus der deutschen Zeitrechnung heraus.
__________________
Es ist verdammt schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.
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Alt 15.01.2002, 09:42  #2
Daniel
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mhhh ich hab keinen Teil gesehen.
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Alt 23.01.2002, 18:32  #3
StJohnSmith
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Ich habe die Folgen gesehen. War aber reine Zeitverschwendung.

Die Leistung der Schauspieler war super, aber die Story? Vom politischen Inhalt längst nicht mehr aktuell und ansonsten - dümmer gings nimmer!

Semmeling Junior (Stefan Kurt) als 50er-Jahre-Spießer, stets überkorrekt gekleidet, naiv, spröde, verklemmt und fast kommunikationsunfähig - immer dann, wenn er hätte sich äußern müssen lief er wortlos weg - war mehr als peinlich. So ein Typ würde sich heute kaum noch in der Politik finden - falls es ihn überhaupt je gegeben hat.

Und dann der andere höchst peinliche Teil der Story. Semmeling Senior, ständig debil grinsend und mit dem Kopf nickend wie die Elvis-Puppe in der Audi-Werbung, der als Vorstandsmitglied eines Unternehmens nicht einmal den Unterschied zwischen Privat- und Betriebsvermögen kennt und von Erbschaftssteuer noch nie etwas gehört hat. Der dann eine große Sammlung Musikinstrumente aus dem Mittelalter erbt und sie - trotz prekärer finanzieller Situation - in Unkenntnis der Marktlage zu Flohmarktpreisen verschleudert und offenbar nicht weiß, daß man solche Dinge schätzen lassen kann..... nee, wiklich!
Wahrscheinlich sollte dieser Handlungsstrang mitleiderregend sein. War er aber nicht. War höchstens grottenschlecht.

Das einzig Gute an der Serie (neben der schauspielerischen Leistung): die bemerkenswert realistische Darstellung der Typen von der Steuerfahndung. Ansonsten:


Gruß StJohn
__________________
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Alt 24.01.2002, 18:37  #4
student
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Beiträge: 26

@ STJohn

sehe ich anders. Der Inhalt war hochinteressant, weil er mal das echte Leben in der Politik dargestellt hat, ohne seine ganze Schönrederei und das Geschleime drumherum.

Für die Quoten kann Wedel nun wirklich nichts. Das liegt, meiner Meinung nach, am unreifen deutschen Publikum, welches nicht in der Lage ist der Wahrheit mal ungeschminkt ins Auge zu sehen. Viele wollten das nicht und schalteten deswegen nach dem ersten Teil ab.

Schade Deutsches Fernsehpublikum- EUCH WAS ENTGANGEN
__________________
Das Reh springt hoch, das Reh springt weit, warum auch nicht-es hat ja Zeit
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