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Vollständige Version anzeigen : Televisions - Kunst sieht Fern. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien


HansA
09.12.2001, 12:50
Als das Fernsehen noch Zeit für die Kunst hatte

Als das Fernsehen noch Zeit für die Kunst hatte, konnte Jan Dibbets 1968 das abendliche Wohnzimmer der Nation mit einem drei Minuten langen Loop, ausgestrahlt über TV, als Feuerstelle beleuchten. Damals gab es den Erziehungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender in Europa, und nachts wurden noch Testbilder gesendet. Als das Fernsehen noch Zeit hatte, stellte es Nam June Paik 1983 eine halbe Stunde Sendezeit und mehrere Satelliten zur Verfügung, um eine der ersten synchron weltumspannenden Ausstrahlungen zu produzieren.

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Pipilotti Rist: Das Zimmer, 1994, Installation, Courtesy Galerie Hauser & Wirth, Zürich, Foto: Stefan Rohner
Als das Fernsehen später immer noch etwas Zeit hatte, waren es die neu auftauchenden privaten Kanäle, die per Gesetz gewisse Anteile ihrer Sendezeit an kleinere, ebenfalls private Produktionsgemeinschaften abgeben mussten. Über diese "Fenster" konnten einige experimentellere Formate, zumindest nachts, die Zuschauer erreichen. Da hatten die Öffentlich-rechtlichen eigentlich schon keine Zeit mehr, sondern ihren didaktischen Auftrag an die "Offenen Kanäle" abgegeben, die allerdings in vielen Gegenden nur per Kabel zu empfangen waren und selten feste Sendezeiten vergeben. In Österreich wurden die herbeigesehnten privaten Kanäle übrigens erst vor ein paar Jahren erlaubt.

Seitdem TV keine Zeit mehr für sie hat, tragen die KünstlerInnen das Fernsehen zurück in ihre Werke, verarbeiten die Gameshows in ihren Videos und reihen Szenen aus den Soaps aller Erdteile aneinander. So zu sehen bis zum 18. Januar in der Kunsthalle Wien in der Ausstellung Televisions, kuratiert von Joshua Dector. Das Fernsehen begreift sich währenddessen selbst als Kunst, angeleitet von den TheoretikerInnen der affirmativen Seite einer so-oder-anders-genannten Poptheorie. Wo die Pop Art jedoch in den 50/60ger Jahren alles tat, um TV und die Medien zu subvertieren - man erinnere sich an Richard Hamiltons "Just what ist it that makes today´s homes so different, so appealing", aber auch an die dunkleren Seiten Warhols - greift die Popdebatte der 90ger in ihrem Wunsch nach Begreiflichkeiten mit vollen Händen in die Töpfe der angebotenen TV-Ästhetik.

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William Wegman: T.V., 1972, 35,6 x 28 cm, Silbergelatin photographie, (c) William Wegman
Big Brother und TVTotal werden auf ihre Poptauglichkeit hin gesiebt; und ein Herr Schmidt darf mit aus den USA geklauten Ideen neue Paradigmen etablieren. Kein Wunder, dass das Fernsehen von der Kunst gelangweilt ist - oder gibt es einen Bambi für die beste Kunstsendung? - und die Kunst auf sich selbst zurückgeworfen wird: Television is rejection, befand Jean-Luc Godard bereits vor seinen TV-Experimenten der 70ger Jahre, nach denen er zum Kino (= Projektion) zurückkehrte. Denn Fernsehen ist auch langweilig.

HALLO!

Als das Fernsehen zuletzt etwas Zeit übrig hatte, 1992, sendete van Gogh TV parallel zur documenta 8 auf 3sat; nun wieder zu sehen in Televisions. Da wollte das nunmehr alte Medium mit dem neu aufkommenden Internet konkurrieren; beweisen, dass es etwas im Kasten hat, dass es mit der neu eingeführten Produktanforderung Interaktivität aufwarten kann. Folglich durften in Van Gogh TV die Zuschauer mitmischen. In die von eingeladenen Gästen gestalteten Sendungen wurden ihre telefonischen Kommentare eingeblendet, teils als Laufschrift, teils in völlig autonomen Tonschleifen. Die Beiträge im Studio ähnelten in ihrer Chaotik dem, was Paik und Konsorten neun Jahre zuvor in ihrem utopischen Übertragungsprojekt ausgestellt hatten - nur eben mehr, und viel länger. Van Gogh TV war nicht per se revolutionär - was es so besonders macht ist, dass "das Fernsehen" in den seitdem vergangenen zehn Jahren keinen auch nur annähernd ähnlich "wesens-fremden" Entwurf in seinen Programmspalten duldete; und die Vertreter des Projektes deswegen immer noch von Symposion zu Symposion ziehen.

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Maurizio Cattelan, If a tree falls in the forest and there is no one around it, does it make a sound?, 1998, Foto: Attilio Maranzano; Courtesy Collection migros museum, Zürich
Die Natur der damals abgelieferten Zuschauerbeiträge führte übrigens unmittelbar zur Gründung von "HalloTV", eines kurzlebigen Kollektivs in Berlin, dessen Mitglied Daniel Pflumm mit einer aktuelleren Arbeit ebenfalls in Televisions vertreten ist. Die in diesem Videoloop in repetitiver Sinnlosigkeit ästhetisierte CNN-Oberfläche ist genauso wie jene damals von van Gogh TV präsentierte, drei- bis vierfach parallel Information distribuierende Bildgestaltung ein Ausdruck des gegenseitigen Einflusses der Bildschirmmedien Internet und Fernsehen. Der kürzlich gewählte, neue Bürgermeister von NY dürfte mit seinem Bloomberg-TV ebenfalls einer der Pioniere der multiplen Bildaufteilung sein, die bislang keinen Weg in die anderen, das Fernsehen prägenden Genres gefunden hat: Zwar sucht man seit Jahren nach Wegen, Narrative für den aufgeteilten Bildschirm zu erfinden; doch diese Idee steht so sehr im Gegensatz zu der von Spielfilmen - oder auch Soaps - geforderten Illusionswirkung, dass es wohl nur zu Nischenprodukten kommen dürfte. Ähnlich gering sind die Möglichkeiten, in der Kunst mit der formalen Begrenzung der Kathodenröhre zu spielen, wenn es um das Format Fernsehen geht. Stattdessen wird beispielsweise die Auseinandersetzung mit derStruktur gesucht.

Wie man ins Fernsehen kommt

Die Gruppierung GALA Committee, ein 1995 von Mel Chin gegründetes Netzwerk von über 100 Künstlern, die haupsächlich in New York und Los Angeles arbeiten, plazierte 1997-98 unter dem Titel "In The Name of the Place" wiederholt Kunstwerke in den Sendungen der bekannten amerikanischen Soap "Melrose Place". Damit sollte auf den Kampf der Act-Up-Bewegung gegen Aids aufmerksam gemacht werden. Zunächst schmuggelte man die Arbeiten heimlich mit Hilfe der Aufbauarbeiter ins Setting, später geschah dies mit dem Einverständniss der Produzenten, die sich der Publicity-Trächtigkeit der Aktion wohl bewusst waren. Gegenseiter Nutzen widersprach der Anti-Aids Bewegung in den USA nie; wobei allerdings auffällt, dass die einzelnen Kunstwerke hier zwar Titel haben - Beispiele in Televisions sind "TV Tube (After Johns)", "Fireflies. The Bombing of Baghdad" oder "Think of the Re-runs" -, die KünstlerInnen namentlich jedoch nicht erwähnt werden. Im Gegensatz zu dem deutschen Sammlerpaar, in dessen Besitz sich die TV-Kunst nun befindet.
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Candice Breitz: Double Annie, 1985/2000, Aus der Serie: Four Duets, 2000, Standbild, Courtesy Galerie Johnen & Schöttle, Köln
Auch Måns Wranges "The Subliminal Journey of an Opinion from an Average Citizen to Public Opinion" von 1999 ist eine methodisch elegante Arbeit zur Meinungsmache via Fernsehserie : Wrange hatte in mehreren Printmedien nach einer Person gesucht, die in seinem Projekt die Rolle der NormalbürgerIn übernehmen sollte. Daraufhin meldete sich eine Freiwillige und aus Gesprächen mit ihr wurden ein paar Forderungen zugunsten einer "besseren Gesellschaft" isoliert. Die Drehbuchschreiberin einer bekannten Soap Dänemarks konnte gewonnen werden, einen der Sätze in ihre Serie einzubauen. Am Ende standen unrepräsentative Umfragen, ob wohl innerhalb der Bevölkerung die Aussage "Wenn Solidarität von der Steuer abgesetzt werden könnte, wäre sie weiter verbreitet" diskutiert wurde. Wrange verweist auf eine Gruppe von Schwestern, die am Frühstückstisch im Krankenhaus darüber debattierte. Man kann die den Serienausschnitt begleitenden Grafiktafel, auf der alle Schritte abgebildet sind, ästhetisch und hinsichtlich ihrer Relevanz auf Kunst diskutieren - als Dokumentation eines Eingriffs in die Meinung bildende Welt der Soaps transportiert Wranges "Normalbürger" eine optimistische Art von Analyse.

Aura im TV

Der erwähnte Anspruch an Illusion und etwas, das einmal Aura hieß und wiederum eine Produktanforderung an bildende Kunst war, bestimmt mehr als die Ästhetik des neueren Infofernsehens die meisten anderen Arbeiten in der Ausstellung. Es dominiert das einzelne Bild im Schirm. Am ehesten noch könnte man ironischerweise die Zeichnungen Raymond Pettibons als "multiinformativ" bezeichnen, kommt in ihnen doch der Fernseher nur neben den Figuren und schriftlichen Prosaergänzungen vor; wenn er nicht gleich in einer, theoretisch allerdings letalen, Hommage an Marshall McLuhan als Sexualobjekt missbraucht wird: Psychographie als Kommentar zur Medienkrise an der Westcoast. Fotos von Martha Rosler und Nan Goldin dürfen in ihrer Darstellung von fernsehenden Personen Aura vermitteln, oder Poesie, wenn man so will: Goldins ganz in Gold gekleidete "Shelly on her sofa" (1979) schläft, offensichtlich nach einer Abendveranstaltung, neben der leuchtenden Mattscheibe auf einem groß geblümten Kanapee, unter dem Arm geklemmt den Playboy. Dectors Ausspruch, man würde eine Schau machen, die alle Lebensaspekte berührt: Essen, Sex, Unterhaltung, Schlaf, Tod, Tiere etc. ist in diesem Foto auch erfüllt - völlig ohne Monitor.

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Nan Goldin, Shelley on her sofa, NYC, 1979, Fotografie, Courtesy Matthew Marks Gallery, New York
Die Arbeiten in Televisions, die ohne Fernsehgerät auskommen, sind zum größten Teil auf einer Stellwand versammelt, was der Auswahl eine Anmutung von Zufälligkeit gibt. Meist wichtige Zeitzeugen und zum Großteil interessante Werke, sieht man auf ihnen doch nur den Fernseher als offensichtliches Kriterium. An der Wand gegenüber leuchten zum Ausgleich auf großer Fläche die "Test Pattern: TV Dinner Plates from the Miss General Idea Pavillion"(1998) von General Idea, ein Tryptichon von 144 rechteckigen, tv-typisch oval gerundeten Tellern, sämtlich in Testbildstreifenfarben gebrannt. Weiter weg im Raum verteilt vertreten John Miller mit einem großformatigen Videoprint einer Gameshowbühne und Martin Kippenberger mit einem Porträt des Fernsehkommissars als Autogrammkarte die Leinwand-Fraktion. Nicht nur Richard Hamiltons großformatige Gemälde mit TV - Geräten, die vor ein paar Jahren bei der Biennale in Venedig zu sehen waren, hätten da eine mögliche Verstärkung dargestellt.

Andere Formate

Video als Medium und Fernsehen als Idee haben außerhalb des Fernsehens, und zum Teil in der Kunst, Bewegungen vollzogen, die in der Ausstellung nur in den archivarischen Teilen einen Platz finden. Die TV- und Videogruppierungen beispielsweise, die gegen die einseitige Formatierung des Fernsehens eine andere Informationspolitik und - ästhetik entwickelten, sind gerade mal durch ein Band von Paper Tiger Television vertreten. Dem von Justin Hoffmann kuratierten Veranstaltungsteil von Televisions kommt daher besondere Bedeutung zu, denn hier wird den zahlreichen Verbindungen und Bezügen zwischen Kunstvideo und Videobewegung Rechnung getragen. Daneben zollt man den verschiedenen Mainstream-Umformungen Tribut, angefangen von StarTrek Parties bis zu "the greatest sex scenes on TV - watched and selected by women". Das Arsenal Kino aus Berlin präsentiert die Wechselwirkungen von TV und experimentellem Film, Ursula Wevers die Fernsehgalerie Schum.

Der Interaktionspart spielt weiterhin eine große Rolle, wenn Hans-Christian Dany in seinem Vortrag "Künstler machen Fernsehen" darauf hinweist, dass gerade die Internetbegeisterung der Kollegen ihn und Stefan Dillemuth das Projekt "Utv" gründen liessen. Als Retro-Gegenentwurf zur angeblichen Interaktivität des Internet sollte eine Art Transaktionsfernsehen eingeführt werden, dass irgendwann als Automaten aufgestellt werden könnte. Mittlerweile ist man davon abgekommen, auch angesichts der leichteren Anwendbarkeit von Video-Streaming-Technologie innerhalb des WWW. Allein in den letzten beiden Jahren hat sich da mit Indymedia einerseits und endlosen Club-Mitschnitten andererseits bereits eine andere "TV"Ebene entwickelt, innerhalb derer sich noch einiges entwickeln kann. Doch das hängt von den Partizipienten ab. Wie es Ariane Müller, Künstlerin, Autorin und "lokalTV" Gründerin formuliert: " All Passion Spent? War da nicht mal mehr mit dem Fernsehen als bloß reinzuglotzen und möglicherweise mit absurden Jobs, wie Kabel tragen / Talkshowpublikum aussuchen / Internetanwendungen testen, Geld zu verdienen? ". Kunst hat eigentlich keine Zeit mehr für´s Fernsehen.

von Telepolis (http://www.heise.de/tp/default.html)