Alt 18.04.14, 16:47
Standard So tickt die Börse: Warum am Dienstag kein nachhaltiger Boden gebildet wurde
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14:00 Uhr ist eine typische Uhrzeit für überschuldete Spekulanten, wenn sie von ihrem Broker aufgefordert werden, eine Unterdeckung auszugleichen. Der Broker ruft seinen Kunden an und gibt ihm Zeit "bis nach dem Mittagessen", um sich selber um den notwendigen Ausgleich zu kümmern.

Nun kann der Kunde entweder Geld von einem anderen Konto auf das überschuldete Konto überweisen, oder, wenn er nicht genug Liquidität hat, muss er Positionen verkaufen. Eine Aktie wird typischerweise nur mit 50% ihres Wertes als Sicherheit angerechnet, Bargeld hingegen zu 100%. Durch den Verkauf von Positionen (Aktien sowie auch Optionen und andere Finanzprodukte) kann also die erforderliche Deckung hergestellt werden. Bis 14 Uhr.

Stellt der Broker nach seiner Mittagspause fest, dass noch immer nicht ausreichend Sicherheiten vorhanden sind, dann macht er sich an die Arbeit: Er liquidiert willkürlich Positionen aus dem überschuldeten Kundendepot. WILLKÜRLICH! Er ist dazu gesetzlich verpflichtet. Und der Kunde hat von nun an keine Einflussmöglichkeit mehr. Weder auf die Positionen, die liquidiert werden, noch auf etwaige Verkaufslimits. Die Verkäufe werden unlimitiert in den Markt gegeben.

Der Kunde möchte dies unter allen Umständen vermeiden und wird daher mit aller Gewalt versuchen, rechtzeitig die erforderliche Liquidität selbst zu schaffen.

Unsere Highflyer aus 2013 notieren zu einem großen Teil auf Jahressicht noch immer im Plus. Entsprechend werden gerade diese Highflyer gerne für solche Liquidierungen herangezogen.

Dienstag um 12:58 Uhr US-Zeit (18:58 Uhr MESZ) erreichten Gilead, Celgene und Biogen Idec ihren Tiefpunkt. Anschließend ging's steil bergauf. Ich habe alle Nachrichtenkanäle nach sämtlichen Meldungen zum Biotech-Bereich durchforstet, doch ich kann keine Meldung finden, die für diesen Stimmungswechsel verantwortlich sein könnte.

Am vergangenen Freitag habe ich über die widersprüchliche Bewegung am Anleihemarkt gesprochen: Wieso ist die Nachfrage nach insbesondere US-Anleihen so groß, dass die Rendite wieder fällt, obwohl die Konjunktur anzieht und die Fed steigende Zinsen in Aussicht stellt? Das ist irrational und für Anleger beängstigend, denn es könnte auf etwas hinweisen, das wir übersehen.

Nun, was glauben Sie, wann die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe ihren Tiefpunkt erreichte? Wann wurden also die höchsten Kurse bei US-Staatsanleihen erreicht? Genau um 13:01 Uhr US-Zeit, also drei Minuten nach dem Tiefpunkt im Biotech-Bereich. Das deutet daraufhin, dass,wie oben gesagt, kein fundamentaler Grund für das Ende der Bewegung vorhanden war. Vielmehr waren die Verkäufer des Biotech-Bereichs fertig, schoben ihr Kapital in den Anleihemarkt und beendeten ihre Rotation.

Im Zeitalter des High Frequency Trading (HFT) und der Algos (Handelsprogramme, die aufgrund programmierter "Algorithmen" automatisch Kauf- und Verkaufaufträge erzeugen) sind drei Minuten eine Ewigkeit. Hätte es einen fundamentalen Grund für das Ende des Ausverkaufs im Biotech-Sektor gegeben, dann würden Bruchteile von Sekunden zwischen dem Tief bei Biotech und dem Hoch bei Anleihen liegen, nicht Sekunden und schon gar nicht Minuten.

So gehe ich davon aus, dass es sich um die Liquidation von Positionen handelte, die ein in Schieflage geratener institutioneller Anleger unbedingt vollenden wollte, bevor der Margin Clark des Brokers nach seiner Mittagspause aktiv wird.

Das Gute daran: Wir wissen nun, dass es nicht unbedingt fundamentale Gründe für den Ausverkauf in der Biotech-Branche gibt. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass ein oder mehrere institutionelle Anleger ihre Schieflage ausgleichen und dabei die Kurse über Gebühr drücken.

Das Schlechte: Wir haben keinerlei Möglichkeit abzuschätzen, wann solche Schieflagen ausgestanden sein werden. Mit einem Tag Pause (gestern) kann es heute wieder weitergehen. Die Verkäufe endeten nicht, weil es nichts mehr zu verkaufen gab, sondern weil die Uhrzeit vorangeschritten war. Daher können die Verkäufe jederzeit leider wieder aufgenommen werden.

Um 13:02 Uhr haben dann auch die anderen Verkaufsprogramme geendet und Nasdaq sowie S&P 500 begannen ihre Rallye.

Wie gesagt: Diese zeitlichen Verzögerungen sind im Zeitalter des HFT und der Algos nicht möglich, wenn es einen fundamentalen Grund für die Trendwende geben würde. Sie sind für mich ein eindeutiger Hinweis darauf, dass mehrere Liquidationen im Gange waren und die Verkaufsprogramme, die für solche Zwecke in der Regel gestartet werden, mit wenigen Minuten Zeitunterschied ihre Aufgabe zu Ende führten.

Um 13:10 Uhr folgte dann die Meldung, dass der Google-Maps Manager Daniel Graf zu Twitter wechseln werde. Er twitterte diese Nachricht. Die Aktie von Twitter flog um 10% in die Höhe.

10% Kursanstieg, weil ein Google-Manager abgeworben werden konnte? Niemals.

10% Kursanstieg, weil die wichtigsten Insider (Gründer und Venture Capitalists) am Montag bekundet hatten, ihre Aktien zum Ende der Sperrfrist am 5. Mai auf keinen Fall verkaufen zu wollen? Nein, die Reaktion wäre dann um über einen Tag verzögert und würde nach dieser Verzögerung nicht mehr so heftig ausfallen.

10% Kursanstieg, weil die automatischen Verkaufsprogramme von institutionellen Anlegern in Schieflage gegen 13 Uhr endeten und anschließend kein einziger verkaufswilliger Aktionär mehr vorhanden war. Twitter war unter seinen IPO-Preis gefallen und galt als sicherer Short (Leerverkauf), da am 5. Mai ja vermeintlich viele Insider-Aktien in den Markt gegeben würden. Mitnichten, denn über 20% der ausstehenden Aktien wurden nunmehr von ihren Besitzern als "unverkäuflich" bezeichnet, der zuvor sichere Short wurde somit zum Minenfeld. Es gibt nun keinen Short mehr, der Twitter noch shorten möchte. 40% der im freien Umlauf befindlichen Aktien sind bereits geshortet, und das schreit nun nach einem Shortsqueeze. Mehr dazu habe ich im Kapitel Updates ausgeführt.

Schauen wir uns einmal die Wochenentwicklung der wichtigsten Indizes an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (16.04.2014) | Woche Δ

Dow Jones: 16.170 | 0,0%
DAX: 9.318 | -1,4%
Nikkei: 13.960 | 0,0%
Euro/US-Dollar: 1,39 | 0,0%
Euro/Yen: 141,44 | 0,0%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,63% | 0,00
Umlaufrendite Dt: 1,29% | 0,00
Feinunze Gold: $1.316 | 0,0%
Fass Brent Öl: $107,31 | 0,0%
Kupfer: 6.659 | 0,0%
Baltic Dry Shipping: 1.029 | 0,0%



Auch hier fallen mehrere Widersprüche auf: Der DAX ist der einzige Index im Minus während der Euro jedoch kaum abgibt. Das spricht nicht für Angstverkäufe aufgrund der Krim-Krise, sonst würde das Geld aus Europa abgezogen und der Euro-Kurs stärker gedrückt werden. Die Ukraine-Krise kann vielleicht noch eskalieren, derzeit ist deren Einfluss jedoch begrenzt.

Als 'Sicherer Hafen'werden die Anleihen meiner Einschätzung nach nicht genutzt. Die Kursentwicklung im Wochenverlauf zeigt zunächst eine große Nachfrage nach Anleihen, sowohl in den USA, als auch in Deutschland, und ab Dienstag Nachmittag dann eben die oben beschriebene gegenläufige Entwicklung. Der Goldpreis hat diese Schwankung überhaupt nicht mitgemacht, Gold gab Dienstag Nachmittag plötzlich 1% nach und läuft davon abgesehen seitwärts. Auch dies spricht weniger für eine Flucht in den Sicheren Hafen als vielmehr für ein kurzfristiges Parken der Liquidität in leicht verfügbaren Anleihen durch Spekulanten, die eben nur die Sicherheitsanforderungen erfüllen wollen.

China und Japan lasse ich als belastende fundamentale Faktoren für die Aktienbörsen gelten. Die schlechte Meldung aus Japan, dass die Abenomics nicht den gewünschten realwirtschaftlichen Effekt erzielen, gab es schon in der vorangegangenen Woche, diese Woche erfolgte eine Gegenbewegung im Nikkei.

China hat jedoch am Wochenende wieder Zahlen berichtet, die für neuen Gesprächsstoff sorgten: Mit 7,4% Wirtschaftswachstum wurde zwar das politische Ziel von 7,5% verfehlt, Volkswirte hatten jedoch 7,3% befürchtet.

Schauen wir uns China also einmal näher an.

Ein in China arbeitender Kunde des Heibel-Tickers hat mich diese Woche mit detaillierten Hintergrundinformationen versorgt. So sei der vor einer Woche verkündete Außenhandelsrückgang unter anderem auch auf die vor einem Jahr eingeführte Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Kapitaltransfers zwischen Hong Kong und China zurückzuführen. Allein im März vor einem Jahr sei der Export nach Hong Kong um 92% angesprungen. Wenn Sie berücksichtigen, dass 10% des chinesischen Außenhandels über Hong Kong läuft, ist das eine nennenswerte Verzerrung. Der jetzige Rückgang ist also zum Teil der Normalisierung des Sprungs von vor einem Jahr zuzuschreiben und weniger ein Zeichen für die Außenhandelsschwäche Chinas.

Chinas Premierminister Li Keqiang hat deutlich gemacht, dass es kein weiteres Konjunkturprogramm geben werde. Strukturelle Reformen und die Korrektur der Verzerrungen beispielsweise auf dem Immobilienmarkt seien wichtiger als kurzfristige Wachstumsziele. In China sei es jedoch nicht unüblich, schlechte Nachrichten von der Politik, wie in diesem Fall Premierminister Li Keqiang, zu überbringen. Für positive Überraschungen bemüht sich jedoch der Präsident selbst an Mikrofone, in diesem Fall Xi Jinping. Er kann seinen Premier jederzeit umdrehen und in eine andere Richtung laufen lassen.

Die ach so hohen Schulden chinesischer Betriebe, von denen immer wieder berichtet wird (erst diese Woche erschien ein langer Artikel in der Wirtschaftswoche) werden aus den jeweils gemeldeten Neukrediten errechnet. Es gibt jedoch nach Beobachtung unseres Heibel-Ticker Kunden auch die Praxis, auslaufende Kredite über einen Trick als Neukredit zu refinanzieren. Der auslaufende Kredit wird über den Graumarkt abgelöst. Anschließend wird das selbe Investitionsvorhaben als neue Investition eingereicht und erhält einen "Neukredit". Die Statistik wird so unnatürlich aufgebläht.

Bleibt die Sorge über die ausufernden Immobilienpreise. Festlandchinesen können ihr Vermögen nicht so einfach ins Ausland schaffen. Und innerhalb Chinas sind die Investitionsmöglichkeiten suboptimal, um es milde auszudrücken. Einzig der Immobilienmarkt hat in den vergangenen Jahren funktioniert und funktioniert auch noch immer, solange die Preise nicht zu fallen beginnen. Preise fallen nicht, solange ausreichend Nachfrage da ist. Doch die Nachfrage stammt schon seit langem nicht mehr von interessierten Käufern für den Eigenbedarf, sondern von Finanzprodukten, die vermögenden Kunden angeboten werden.

Solange die Preise am Immobilienmarkt stabil sind, strömt weiter Kapital in solche Finanzprodukte, der Kreislauf funktioniert. Dabei bleibt es völlig egal, ob die Immobilien überhaupt bewohnt sind, wichtig ist der Marktwert. Nimmt man gängige Vergleichsgrößen zwischen Immobilienpreis und verfügbarem Einkommen, so ist das Preisniveau in China bereits jenseits von Gut und Böse. Doch mangels Alternativen spielt die Musik weiter.

Hier tickt die Zeitbombe, und diesen Missstand versucht die chinesische Politik derzeit zu korrigieren. Sollte eine Verkaufswelle losgetreten werden, dann könnten die negativen Einflüsse tatsächlich weltweit Wogen schlagen. Sollte China sodann seine Auslandsvermögen heim holen, um den Verlust beim Immobilienvermögen aufzufangen, dann dürfte das Weltfinanzsystem tatsächlich wieder einmal ins Straucheln geraten.

Also: Sie kennen mich als Optimisten, doch wir müssen uns auch vor Augen halten, was schief gehen könnte. In der vergangenen Woche reduzierte ich China auf die Aussage, wir müssten beobachten, ob die USA China aus dem Sumpf ziehen könne oder China die USA mit sich in den Abgrund reisst. Heute habe ich Ihnen die Hintergründe zu dieser Schlussfolgerung, die noch immer gilt, etwas detaillierter ausgeführt.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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