Alt 30.09.16, 20:58
Standard So tickt die Börse: Zünglein an der Waage
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In der IT spricht man von binären Entscheidungen: Plus oder Minus, Null oder Eins. Es ist schwer, die reale Welt mit Nullen und Einsen darzustellen, aber an den weltweiten Börsen läuft derzeit ein Versuch: Entweder der DAX läuft in den kommenden Monaten auf ein Allzeithoch, oder aber wir bekommen einen Ausverkauf wie nach der Lehman-Pleite im Jahr 2008. Dazwischen scheint es nichts zu geben und entsprechend heftig sind die Tagesschwankungen, je nachdem welches der beiden binären Lager, Bullen oder Bären, die jeweils aktuellste Tagesmeldung für sich proklamiert.

Für Ihre (und meine) Nerven ist das nicht gut. Diese Woche wurden unsere Nerven abwechselnd von den Bullen und Bären strapaziert. Notenbankpolitik, Weltwirtschaftswachstum (WTO), Ölpreisentwicklung (OPEC), Finanzmarktstabilität (Deutsche Bank) waren die Themen, die in der abgelaufenen Woche dominierten, aber niemals länger dominierten als bis zur nächsten Meldung aus einem dieser Bereiche.

Gehen wir das ganze mal schrittweise durch:

In der vorhergehenden Woche verkündete die Bank of Japan neue Instrumente in ihrer Geldpolitik. Auch die US-Notenbank Fed sorgte mit ihrer erneuten Verschiebung der lange erwarteten zweiten Zinsanhebung für Freude an den Finanzmärkten: "Mehr Liquidität" bedeutet unter Anlegern "höhere Aktienkurse". Die Märkte begannen (eigentlich) zu steigen.

Eigentlich, weil dann am Montag dieser Woche plötzlich Ängste über die am Abend stattfindende US-Präsidentschaftsdebatte zwischen Clinton und Trump aufkamen. Was, wenn Trump eine gute Figur macht? Ein Horrorszenario für viele Börsianer, weil Trump als unberechenbar gilt. Und schlimmer als eine schlimme Nachricht ist an der Börse Ungewissheit.

Hillary Clinton konnte die Debatte knapp für sich entscheiden. Keine Vorentscheidung, aber immerhin ein Schritt in die - aus Sicht der Wall Street - richtige Richtung. Dienstag früh schossen die Kurse in Deutschland vorbörslich in die Höhe ...

... um bereits kurz nach dem Handelsstart wieder gen Süden zu drehen. Was war passiert?

Die World Trade Organization hat ihre Handelsprognose für 2016 reduziert. Statt der bislang erwarteten 2,8% werde der Welthandel im laufenden Jahr nur um 1,7% wachsen. Erstmals seit 2001 wird der Welthandel langsamer wachsen als das Globale Wirtschaftswachstum (BIP), für das 2,2% erwartet werden.

Das ist ein doppelter Tiefschlag für Deutschland: Da kämpfen die großen Weltmärkte derzeit um sichtbare Wachstumsraten. Vom Außenhandel werde das nicht kommen, so heute die WTO. Doch gerade Exportweltmeister Deutschland hängt vom weltweiten Handel ab, und der ist nunmehr sogar noch schwächer als das weltweite Wirtschaftswachstum. Der DAX ging auf Tauchstation.

In diese Gemengelage mischte sich die Deutsche Bank. Die angedrohte Strafe der US-Justiz in Höhe von 14 Mrd. USD könnte die Deutsche Bank in die Insolvenz treiben. Doch CEO Cryan tritt dreist auf und fordert die US-Justiz auf, die Deutsche Bank nicht härter zu bestrafen als US-Banken. Mit welchem Recht fordert er das?

Zudem kamen Gerüchte auf, die Bundesregierung hätte einen Notfallplan für eine Insolvenz der Deutschen Bank. Das reichte aus, um die Märkte wieder zu stabilisieren, die Börsen machten abends ihre Verluste wett.

Mittwoch Abend folgte dann der vermeintliche Durchbruch bei den Verhandlungen der OPEC in Algier um eine Drosselung der täglichen Fördermengen. Vermeintlich? Ja, ich habe mir die Details angeschaut.

Aktuell fördern die OPEC-Länder täglich 33,24 Mio. Fässer Öl. In Algier hat man sich nun darauf geeinigt, ab November "nur noch" 32,5 bis 33 Mio. Fässer Öl zu fördern. Alle haben zustimmend genickt und das wurde als Erfolg verkauft. Der Ölpreis ist vorübergehend um 9% angesprungen. Doch was bedeutet diese Absichtserklärung?

Insgesamt wurden 2015 weltweit täglich 100 Mio. Fässer Öl gefördert. Größter Ölproduzent sind derzeit die USA mit 12,3 Mio. Fässern am Tag, gefolgt von Russland mit 11 Mio. Fässern und Saudi Arabien mit 9,6 Mio. Fässern. Mit großem Abstand folgen Kanada (4,3), China (4,1), der Irak (3,5) Iran (2,8), Vereinigte Arabische Emirate (2,8) und Kuwait (2,7). Die USA, Russland, Kanada und China sind nicht in der OPEC. Die Reduktion muss also von Saudi Arabien, Irak, Iran, den Emiraten und Kuwait erfolgen.

Die Situation vor der Konferenz sah wie folgt aus: Die Saudis haben gesagt, sie kürzen ihre tägliche Förderung nicht, solange nicht auch der Iran seine tägliche Förderung kürzt. Der Iran hingegen, der seit Aufhebung der Sanktionen seine Ölförderung kräftig hochfährt, war im August bei 3,6 Mio. Fässern pro Tag angelangt und hat Programme am Laufen, die bis zum Jahresende zu einer täglichen Fördermenge von 4 Mio. Fässern führen sollen. Also nicht weniger, sondern kräftig mehr!

Die Lösung: Der saudische Ölminister Khalid Al-Falih hat im Anschluss an die Konferenz in Algier gesagt, dass der Iran, Nigeria und Libyen von der Drosselung ausgenommen werden. Ein großes, ich würde sagen, gigantisches Entgegenkommen der Saudis. Zu groß, für meinen Geschmack.

Libyen und Nigeria hatten in den vergangenen Jahren Probleme mit Rebellen. Immer wieder gab es Anschläge auf Pipelines, die gesamte Öl-Infrastruktur der beiden Länder hat stark gelitten.

Libyen hat vor zwei Jahren noch 470.000 Fässer Öl am Tag gefördert, aktuell sind es noch 290.000. Differenz: 180.000 Fässer.

Nigeria förderte vor zwei Jahren noch 1,9 Mio. Fässer, heute sind es nur noch 1,4 Mio. Differenz: 500.000 Fässer.

Iran ist auf dem Weg von 3,6 zu 4 Mio. Fässern am Tag. Differenz: 400.000 Fässer.

Wenn ich das zusammenzähle, komme ich auf 1,08 Mio. Fässer zusätzlicher täglicher Förderung, ausgehend von den aktuell 33,24 Mio. Fässern der OPEC. Ende des Jahres wäre die tägliche Förderung ohne einen Deal also bei 34,32 Mio. Fässern, nun verspricht die OPEC eine Reduktion auf max. 33 Mio. Fässer, ohne dass Nigeria, Libyen und der Iran sich an der Reduktion beteiligen müssen. Es liegt also die Schlussfolgerung nahe, dass der Löwenanteil der Reduktion von Saudi Arabien allein geschultert werden muss.

Saudi Arabien ist das Land, zu Ihrer Erinnerung, das bei jeder Gelegenheit behauptet, niemals Marktanteile auf dem globalen Ölmarkt abzugeben, weil man die günstigsten Förderkosten hat. Und gerade dieses Land verzichtet nun langfristig auf rund 1 Mio. Fässer Öl bzw. 1% Marktanteil? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Was würden Sie an OPECs Stelle tun, wenn die Nachfrage nicht mit dem Angebot mitkommt und der Ölpreis einzubrechen droht? Immerhin gibt es aus China ermutigende Konjunktursignale. Vielleicht entwickelt sich ja bald die erforderliche Nachfrage, um das täglich geförderte Öl zu absorbieren. Aber bis dahin? Die Produktion drosseln und zusehen, wie die US-Ölkonzerne den dadurch stabilisierten Ölpreis nutzen, um Marktanteile zu erobern? Die USA produziert heute 1 Mio. Fässer Öl weniger als vor einem Jahr, weil der Ölpreis unter 40 USD/Fass gerutscht war. Nun notiert er wieder darüber und täglich werden neue Fördertürme aufgemacht. Wird sich die OPEC in dieser Situation zurückziehen, für höhere Preise sorgen und zuschauen, wie die USA Marktanteile erobert? Niemals.

Wenn es der OPEC ernst wäre, dann hätten sie sich diese Woche schon auf neue Quoten einigen können. Doch das war nicht der Fall. Stellen Sie sich mal vor, was eine entsprechende Meldung mit dem Ölpreis gemacht hätte. Der Ölpreis wäre unter 40 USD/Fass gerutscht, die Einnahmen der Ölländer würden erneut belastet. Das will man nicht.

Also gibt man eine schwammige Einigung bekannt, deren Details im November ausgehandelt würden - doch mit spitzem Bleistift lässt sich schnell zeigen, dass es im November keine Einigung über die Details geben wird. Bis dahin jedoch lebt die Hoffnung und der Ölpreis bleibt über 40 USD/Fass.

Als wenn ein so manipulierter Ölpreis irgendeine Aussagekraft für die Verfassung der Konjunktur hätte, schießen die Aktienkurse verlässlich nach oben, wenn der Ölpreis steigt. Das haben wir am Donnerstag gesehen, bis am Abend dann Meldungen kursierten, dass die Deutsche Bank im Interbankenhandel nicht mehr akzeptiert wird. Hedgefonds ziehen ihre Gelder von der Deutschen Bank ab. Erinnerungen an die Bankenkrise 2008 werden wach, denn so sieht ein moderner Bank-Run aus. Nicht Schlangen vor der Filiale, sondern Partnerbanken, die ihr kein Geld mehr ausleihen.

Nochmals: Ich halte die Situation der Deutschen Bank für extrem gefährlich. Zwischen globaler Konjunktur, OPEC-Spielereien, Übernahmewahn - darüber haben wir noch gar nicht gesprochen - und US-Präsidentschaftswahlkampf spielt die Stabilität der Finanzmärkte eine zentrale Rolle, auch und insbesondere für die Stabilität der EU. Zwischen Börsenrallye und Börsencrash könnte die Deutsche Bank zum Zünglein an der Waage werden.

Schauen wir uns nun einmal die Entwicklung der wichtigsten Indizes im Wochenvergleich an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (29.09.2016) | Woche Δ

Dow Jones 18.143 -1,4%
DAX 10.406 -2,5%
Nikkei 16.693 -0,7%
Shanghai A 3.138 -1,4%
Euro/US-Dollar 1,12 0,1%
Euro/Yen 113,48 0,4%
10-Jahres-US-Anleihe 1,56% -0,08
Umlaufrendite Dt -0,25% -0,06
Feinunze Gold $1.324 -1,1%
Fass Brent Öl $49,13 3,5%
Kupfer 2.183 1,2%
Baltic Dry Shipping 888 -5,2%



Deutsche Bank und der Außenhandel (WTO-Prognose) machen Deutschland zum Epizentrum der aktuellen Marktturbulenzen. der DAX hat im Wochenvergleich 2,5% abgegeben, Dow Jones (-1,4%) und Nikkei (-0,7%) nicht ganz so viel. China hatte in der Vorwoche kräftige Gewinne, die nun ebenfalls wieder abgegeben wurden (-1,4%).

Der Kursanstieg der Anleihen, sowohl in den USA als auch in Deutschland, ist eine Reaktion auf die Zinsentscheidungen der Vorwoche in Japan und den USA. Die Kursstärke des Euros ist eine direkte Reaktion auf die zunehmende Verunsicherung der Anleger in Folge der Marktturbulenzen. Die Rendite ist entsprechend gefallen.

Den Ölpreisanstieg haben wir besprochen, im Wochenvergleich bleibt noch immer ein ordentliches Plus von 3,5%. Kupfer hat sich auf niedrigem Niveau stabilisiert und macht Hoffnung auf einen Aufschwung in China, während der Baltic Dry seine exorbitanten Gewinne aus den Wochen nach der Pleite von Hanjin wieder teilweise abgibt.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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